- Deutschland ist Gründungsmitglied der EU, zusammen mit Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg (1952: Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl)
- Deutschland hat 96 von 705 Sitze im EU-Parlament (größte Anzahl an Abgeordneten)
- Im EU-Parlament sitzen 21 grüne Europaabgeordnete aus Deutschland. Die Greens/EFA-Fraktion (Grüne und regionale Parteien Europas) repräsentieren knapp 10% der Stimmen im EU-Parlament.
Mit der frisch vereidigten Bundesregierung kündigen sich viele Neuheiten und Veränderungen an. Erstmals haben wir ein Dreier-Bündnis mit SPD, uns Grünen und der FDP in der Regierung, erstmals eine weibliche AußenministerIN mit Annalena Baerbock, erstmals ist die europäische Zusammenarbeit so stark im Koalitionsvertrag verankert, wie noch nie. In concreto: zum ersten Mal wird die „Weiterentwicklung hin zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“ im Koalitionsvertrag festgehalten!
Europa – von den Koalitionsverhandlungen bis hin zur neuen Bundesregierung.
Bei den Koalitionsverhandlungen war “Europa” durch und durch präsent: Die grüne Europagruppe, war in den thematischen Verhandlungsteams sowie bei den Gesamtverhandlungen stark vertreten. Nicht zuletzt begibt sich mein geschätzter Kollege, Sven Giegold, nun auf den Weg ins Klima- und Wirtschaftsministerium, in das er seine wertvollen Erfahrungen aus dem EU-Parlament mitnimmt. Das ist stark und wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit!
Vernetztes Denken gefragt: Multi-Ebenen und Themenvielfalt im Blick.
Die Europäische Zusammenarbeit ist wichtiger denn je zuvor, um die anstehenden Herausforderungen anzugehen: Ganz oben steht der Klimawandel und der Umgang mit der COVID19-Pandemie – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Weder der Klimawandel noch COVID19 machen an unseren nationalen Grenzen Halt. Im Gegenteil: Multilateralismus ist gefragt. Schaffen wir es in Europa gemeinsam und koordiniert voranzugehen, so können wir auch auf internationaler Ebene (z.B. bei der UN-Klimakonferenz) ein Gewicht haben!
Natürlich ist die Bandbreite der Themen & Baustellen viel größer: die Stärkung unserer Demokratie, die Suche nach Antworten auf Migrations- und Flüchtlingsfragen, die strategische Souveränität in Europa und vieles mehr. Auch hier reichen nationale Maßnahmen nicht aus.
Wir haben “Europa” als wichtige Handlungsebene identifiziert und es ist essentiell auch diese Ebene für die sozial-ökologische Transformation in Europa zu nutzen. Schließlich haben 80% unserer Gesetze ihren Ursprung auf EU-Ebene! Gleichzeitig sind beim Klimaschutz, der Digitalisierung bis hin zur Mobilität natürlich alle Ebenen gefragt. Für die Ausgestaltung der Mobilitätswende sind ÖPNV auf lokaler Ebene auszubauen, aber auch klimaschonende Alternativen für die Urlaubs- und Geschäftsreise anzubieten, gleichermaßen essenziell. Entschieden schlägt die neue Bundesregierung mit uns Grünen ein neues Kapital auf für mehr vernetztes Denken und europäische Lösungen, dort wo es sinnvoll erscheint!
Zukunft Europas konkret gestalten:
Der Bundesregierung bekennt sich klar zu mehr Europa: “demokratisch gefestigter, handlungsfähiger und strategisch souverän”, wie es im Koalitionsvertrag geschrieben ist. Aber was heißt das konkret für die europäische Zusammenarbeit?
*Demokratie Rechtsstaat stärken:
Die Bundesregierung will sich für die “Stärkung der demokratischen Stimme des EU-Parlaments als direkte Stimme der Bürger*innen Europas” einsetzen. Konkret soll sich die Bundesregierung einsetzen für….
- Ein einheitliches europäisches Wahlrecht,
- transnationale Listen und Spitzenkandidatenprinzip bei den Europawahlen,
- ein Initiativrecht für das EU-Parlament – das europaweit einzige Parlament ohne Initiativrecht für Gesetzesvorschläge.
Die europäischen Werte sind unser Fundament: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz sowie Presse- und Meinungsfreiheit sind im Artikel 2 des Vertrags der Europäischen Union festgeschrieben. Sie werden leider in und von manchen EU-Mitgliedsstaaten systematisch missachtet. Es geht um Verstöße gegen die Unabhängigkeit der Justiz; die Gleichheit und Menschenwürde oder die Meinungs- und Pressefreiheit. Um den rechtlichen Konsequenzen auszuweichen, drohen diese Länder, Einstimmigkeitsentscheidungen im Rat der EU zu blockieren – taktische politische Erpressung. Am Ende werden wichtige Entscheidungen vertagt oder nicht getroffen und die Mitgliedsländer für Ihre Verletzungen der Werte nicht zur Verantwortung gezogen. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, die Handlungsfähigkeit und Rechtsstaatsprinzipien in der EU sicherzustellen, schlägt unsere neue Bundesregierung vor, mehr nach Mehrheitsprinzip zu entscheiden.
Gleichzeitig ist klar, dass wir von der Europäischen Kommission als Hüterin der Verträge erwarten, dass sie sich bei der Wahrung unserer Rechte und forcierende Maßnahmen endlich durchsetzt. Deutschland werde den Plänen des Wiederaufbaufonds nur zustimmen, wenn Voraussetzungen wie eine unabhängige Justiz in allen EU-Mitgliedsstaaten gesichert sind, so im Koalitionsvertrag.
*EU als Klimavorreiter:
Die EU-Kommission, die große Vorhaben für den Klimaschutz ankündigte, hat mit dem European “Green Deal” Ziele gesetzt. Mit dem Gesetzespaket“Fitfor55” arbeiten wir aktuell an der Umsetzung. Bisher war es aber kein großer Wurf, da wir oft, unter der vorherigen Bundesregierung, von den EU-Mitgliedsstaaten ausgebremst wurden. Aber mit einer stärkeren “grünen Stimme” im Rat der EU können wir hier auf Mehr hoffen. Wir müssen sicherstellen, dass die “be-grün-ten” Gesetzesvorhaben nicht dem “Greenwashing” unterliegen.
Mitunter möchte die neue deutsche Bundesregierung mit uns Grünen, eine große “europäische Investitionsoffensive” anstoßen: „Eine europäische digitale Infrastruktur, ein gemeinsames Eisenbahnnetz, eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff sowie Forschung und Entwicklung auf dem Niveau der Weltspitze sind Voraussetzungen für die europäische Handlungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im 21. Jahrhundert.”
Damit eingehend muss der EU-Flickenteppich bei der Bahn endlich geschlossen werden. Viel zu lange wurde “innerhalb nationaler Grenzen” gedacht. Europäisch zu denken und zu planen, würde dabei helfen, die “Missing Links” im EU-Verkehrsnetz zu schließen und damit die Menschen zu verbinden. Insbesondere Grenzpendler*innen könnte das das Leben im Alltag erleichtern. In einem Brief an den neuen FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing, fordern wir eine Stärkung des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs zwischen Frankreich und Deutschland, konkret auf der Strecke zwischen Freiburg und Colmar. Zum aktuellen Stand veröffentlichte “Investigative Europe” eine Studie, die aufzeigt, woran die Lückenschlüsse im Bahnnetz trotz schöner Ambitionen noch ausblieben: “Entgleist – Wie EU-Staaten den europäischen Bahnverkehr sabotieren”. Europäisch zu denken, muss verbunden sein mit europäischen Investitionen!
Die Konferenz zur Zukunft Europas als Anlass für konkrete institutionelle Reformen will die Bundesregierung nutzen, auch für EU-Vertragsänderungen – auf dem Weg in Richtung “Europäischer Bundesstaat”.
*Unsere Grüne Stimme in der EU stärken:
Mit der neuen Bundesregierung ist nun die “grüne Stimme” im Rat der EU von Seiten Deutschlands (endlich!) wieder vertreten! Damit haben wir die Chance, vieles auf EU-Ebene zu bewirken: Den EU-Verträgen zufolge sind Rat und Parlament Ko-Gesetzgeber.1 De facto war der Rat häufig “die Bremse”, wenn es zu progressiven und transformativen Gesetzesvorschlägen kam. Hier wurden unsere EU-Gesetze hinter verschlossenen Türen und durch Deals zwischen den Mitgliedsstaaten, die ihr nationales Interesse voranstellen, nicht selten verwässert. Das war beispielsweise bei den Verhandlungen zu den Bahnfahrgastrechten der Fall. Dabei ist es schon im EU-Parlament manchmal schwierig eine ambitionierte Position zu verhandeln… Nun gibt es Hoffnung auf Veränderung: Deutschland hat als bevölkerungsreiches Land einen großen Einfluss. Statt zu bremsen, könnte unsere grüne Stimme hier, zusammen mit Verbündeten endlich Gehör bekommen!
Deutschland-Frankreich in Europa?
Auch in Zukunft möchten wir bewusst auf die deutsch-französische Freundschaft in Europa setzen und eine enge Zusammenarbeit fördern. In vielen Themenbereichen funktioniert das, in anderen, wie zum Beispiel der Atomenergie weniger: Höchst problematisch könnte Frankreichs Push für nachhaltige Atomkraft sich auf die deutsch-französischen Beziehungen auswirken. Die deutsche Bundesregierung darf nicht zulassen, dass Frankreich sich mit seiner “Scheinlösung” nachhaltiger Atomenergie auf EU-Ebene durchsetzt und dafür Deutschland “Gas” bekommt.
Am 1. Januar 2022 übernahm Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft (Programm hier) und nach damit das “Ruder” in den Ministerräten der EU. Dabei ist Frankreich für die kommenden 6 Monate für das Agenda-Setting und die Moderation bei Ratsverhandlungen verantwortlich. Das Motto ihrer Präsidentschaftlautet: “Relance. Puissance. Appartenance.” („Aufschwung, Macht, Zugehörigkeit”) mit zahlreichen Schwerpunkten* vom digitalen, zum sozialen und klimagerechten Europa, bis hin zur COVID19-Pandemie. Sehr viele wichtige Baustellen, aber die Zeit für wirkliche “Politikgestaltung” ist nur sehr kurz:
Frankreich im „EU- und Wahlkampfmodus“ gleichzeitig.
Denn schon im Frühjahr stehen die Präsidentschafts- (10.+22.April) und Parlamentswahlen (12.+19.Juni) an. Dementsprechend ist für Macron und seine Regierung natürlich parallel auch der Wahlkampf, der ab Mitte März auf Hochtouren geht, wichtig. Da Macron seinen politischen Rivalen “von rechts” versucht, stimmen zu entziehen, bewegt er sich mit seiner politischen Agenda immer weiter nach rechts. Wie bedauerlich ist es für Frankreich, dass sich auch dadurch keine progressive Mehrheit “links der Mitte” formiert… Natürlich bereiten sich die französischen Grünen (EELV) mit meinem EP-Kollegen Yannick Jadot als EELV-Präsidentschaftskandidat stark auf den Wahlkampf vor. Allerdings sind die progressiven Stimmen sind sehr verteilt und viele werden vermutlich erneut Macron wählen “ um das schlimmste” zu verhindern!
In Deutschland haben es die Grünen wiederum als etablierte Partei in die Regierung geschafft. Jedoch war das möglich, da in Deutschland Koalitionsregierungen möglich sind. Diesen Weg zur Mit-Gestaltung in einem Bündnis NACH der Wahl gibt es in Frankreich leider nicht. Dennoch gibt es Alternativen und Möglichkeiten für Überraschungen! Auch Macron selbst hat dies erfahren, als er vor 5 Jahren als Kandidat mit seiner frisch gegründeten Bewegung “La République en Marche” angetreten ist und überraschenderweise die Wahl für sich gewann… Es gibt Hoffnung und der Wahlkampf wird spannend! Jedoch sollten sich die Blicke nicht nur auf Zemmour und Le Pen richten (beide wären für Europa und die Menschlichkeit eine Katastrophe!), sondern auf die Parteien, die wirklich Veränderung wollen: keine diskriminierende oder geschlossene – sondern eine demokratisch progressive und weltoffene für die wirkliche sozial-ökologische Transformation!
Bon courage, mes cher.es ami.es écolos!
Spannende Zeiten in und für Frankreich und auch für Europa!
* Schwerpunkte der französischen Ratspräsidentschaft:
– Digitales Europa (Digital Markets Act und Digital Services Act);
– Soziales Europa (Richtlinie für Mindestlohn-Minimalstandards, um Erhöhung des Mindestlohns in EU-weit zu erreichen, sowie die Pay Transparency Richtlinie, um faire Bezahlung vor allem für weibliche Arbeitnehmerinnen voranzubringen);
– die EU-Klimaziele (mit Fitfor55 und die CO2-Grenzausgleichsmaßnahme) in Gesetzgebung zu übersetzen – wenn auch scheint, nicht im Vordergrund seiner Prioritäten;
– die europäische Verteidigungszusammenarbeit;
– und nicht zuletzt wird die Bewältigung der COVID19-Krise auch diese sechsmonatige Ratspräsidentschaft begleiten.
– Außerdem tauscht Frankreich sein Symbol auf der 2 € – Münze aus – anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Euros