Komplettblockade oder Kooperation – wohin manövriert Frankreich?
Anlässlich der französischen Parlamentswahlen am 19.6.2022 kommentiert die grüne deutsch-französische Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg (2017 selbst Kandidatin für die Legislativwahlen):
Neuer Zeitgeist: “Vor 5 Jahren machte sich Macron für einen Aufbruch stark, mit einer jungen Politik und jungen Abgeordneten wollte er dazu beitragen, das “Links-Rechts-Gehabe“ mit seiner Bewegung “La République en Marche” (LREM) zu überwinden. Die Regierungsjahre und die Niederlage bei den Parlamentswahlen haben ihn entzaubert.
Vielmehr war die Aufbruchstimmung im Linksbündnis “ NUPES” zu spüren: Mit vereinten Kräften und mit sozial-ökologischen Fragen im Mittelpunkt, scheint die NUPES den Puls der Zeit zu treffen. Aber zugleich ist auch das rechtsextreme RN (Rassemblement National) um Marine le Pen stärker als je zuvor und die Verteilung auf drei Blöcke in der ‘Assemblée Nationale’ könnte in erster Linie eine Politikblockade bedeuten”, fasst die deutsch-französische Europaabgeordnete zusammen.
“Insgesamt bringt die gestrige französische Parlamentswahl weitreichende Veränderungen mit sich: Nicht nur das Resultat, sondern auch die politischen Auswirkungen verdeutlichen, dass eine Wahlrechtsreform dringend notwendig ist.”
Im Klartext: “Der Präsident kann nicht mehr ‘einfach durchregieren’, die “Macronie” ist gebrochen. Nun gibt es vielmehr ‘drei Blöcke’, die sich gegenüberstehen und das ohne Tradition der Zusammenarbeit. Durch das Mehrheitssystem wird während des Wahlkampfes der “Feind” so dämonisiert , dass eine Zusammenarbeit schwierig wird. Damit könnte es extrem penibel werden, das Land nach vorne zu bringen. Macron wird auf mögliche Kooperationspartner zugehen müssen, um eine stabile Mehrheit im Parlament zu konstituieren”, schätzt Anna Deparnay-Grunenberg ein.
Zusammenarbeit ist gefragt! “Es ist schließlich kein politisches Novum, dass Parlamentsfraktionen kooperieren müssen, um Mehrheiten zu bilden. In allen EU-Ländern und auch im EU-Parlament gehört diese Praxis zum politischen Spiel. Damit Frankreich handlungsfähig bleibt, muss Macron sich jetzt fortan konstruktiv mit anderen Fraktions(-Bündnissen) zusammensetzen. Das ist – zugegeben – nicht ganz einfach in Frankreich, wo lange die ‘Kultur der politischen Konfrontation’ (Regierungsfraktion vs. Opposition) dominierte.”
Eine Stärkung der Legislative? “Gleichzeitig hat das französische Parlament dadurch die Chance, sich neu zu strukturieren and an Gewicht zu gewinnen. Macron wird sich Verbündete suchen müssen, die nicht darauf abzielen, seine Regierung zu blockieren, sondern die Politik weiterzubringen. Wir werden sehen, ob Macron sich darauf einlässt und beispielsweise auf die zweitstärkste Kraft, das Links-Bündnis NUPES, zugeht.” äußert die grüne Europaabgeordnete.
Handlungsfähigkeit ist essenziell: “Den Erfolg der Rechtsextremen können wir nicht erneut als ‘aus Versehen’ hinnehmen. Die französische Politik muss dringend Antworten auf die sozialen und ökologischen Herausforderungen liefern – für das Klima, die soziale Gerechtigkeit und auch um le Pen in fünf Jahren zu verhindern: Denn eine ‘blockierte’ Regierung würde den Erfolg der Rechtsextremen weiter befeuern!”
Wahlrechtsreform gefragt: “Sollte Macron keine stabile Mehrheit zustande bekommen, wäre es höchste Zeit für eine Wahlrechtsreform. Schon 2017 hatte Macron versprochen, das Wahlrecht zu reformieren und, wie viele andere Versprechen, nicht umgesetzt. Das kommt ihm jetzt teuer zu stehen. Das System, in dem dem Präsidenten traditionell die Mehrheit gegeben wird, ist obsolet. Die Französinnen und Franzosen haben sich trotz des Mehrheitswahlsystems zu einer Art “proportionellen” Assemblée durchgerungen, leider ohne dass das französische System eine Art von ‚Koalitionsverhandlungen‚ im Nachgang vorsieht.” so die Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg.
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Das Resultat der gestrigen Wahlen: Macron hat seine Mehrheit verloren (245 von 577 Sitzen). Das Linksbündnis NUPES stark; es gibt wieder eine Linke Kraft (137 Sitze). Leider geht auch die Rechtsextreme stärker als je zuvor aus der Wahl hervor (89 Sitze). Die Republikaner konnten 75 Sitze sichern.