Die Sommeruni der französischen Grünen in Pantin 2020
Nur wenige Kilometer entfernt von der „Bastille“, historischem Ort der Geschehnisse der französischen Revolution, schwebt über der „Cité fertile“ der Anschein einer ökologischen Kehrtwende „l’esprit d’une révolution écologique“.
In Pantin, nahe der Pariser Innenstadt kamen vom 20.-23. August 2020 interessierte und engagierte BürgerInnen, Grüne PolitikerInnen, ExpertInnen, grünen-nahe NGOs, Think Tanks und Stiftungen zusammen. Dabei gab es viel Platz für Austausch und Vernetzung: 2,5 Tage – knapp 500 Menschen vor Ort und Tausenden Online-ZuschauerInnen – die Cité Fertile, über 40 Ateliers, zahlreiche Informations- und Austauschstände und eine breite Vielfalt an grünen Ideen, Projekten und Ambitionen. Ein wunderbarer Rahmen zum Weiterdenken, Erfahrungen austauschen, unsere Zielvorhaben und konkreten Umsetzungen diskutieren.
In der „Cité fertile“, einem besonderen Ort, an dem sich auf einer Brache eine sehr bunte Mischung von Permakultur bis Kultur angesiedelt hat, herrscht feierliche Stimmung. Der Erfolg der französischen Kommunalwahlen vergangenen Juni, hat die grüne Welle auf ihren bisherigen „Hochpunkt“ in Frankreich befördert. Auch Freunde und alte Bekannte wieder zu sehen, die ich durch meine langjährige Mitgliedschaft und mein Engagement bei den französischen Grünen EELV (Europe Ecologie les Verts) kennenlernen durfte, war mir eine große Freude!
Die thematischen Ateliers der JDE sind online nachzusehen: https://journees-ecologistes.fr
Vernetzung und Convivalité (Geselligkeit) trotz Corona-Hygienemaßnahmen
Die Botschaft der diesjährigen grünen französischen Sommeruni „Journées d’été écologistes“ ist klar: Die grüne Welle ist in Frankreich längst angekommen und die konkreten Zielvorstellungen verbinden nicht mehr nur die „écologistes“ (Ökolog*innen). Nach dem frischen Erfolgswind bei den französischen Grünen, gilt es jetzt, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die sozial-ökologische Transformation auf allen Ebenen anzugehen; und damit den Weckrufen der Wissenschaft und der Gesellschaft zu folgen, die die Politik endlich zur konkreten Handlung im Klimaschutz auffordern. Wir müssen die Wirtschaft, die Ökologie und das Soziale wieder in Einklang miteinander bringen. Mit vereinten Kräften, können sie es, können wir es in Europa gemeinsam schaffen.
Jedoch ist dieses Jahr bei den Journées d’été (französische Sommeruni) durch Corona auch vieles anders: Da die Teilnehmenden-Zahl auf 500 Pers./Tag begrenzt war, konnten einige leider nicht vor Ort teilnehmen. Alternativ gab es einen Livestream, wodurch über Tausend Menschen die Debatten mitverfolgen konnten. Quer durch Frankreich wurden einige Public-Viewing-Versammlungen organisiert, um die JDE gemeinsam anzusehen und zu diskutieren, Corona-konform. Einige Ateliers und Debatten fanden im Freien statt und es gab ausreichend Platz um die Debatten im Freien auf einer Leinwand mitzuverfolgen.
„Welch ein wunderbarer Rahmen zum Weiterdenken, Erfahrungen austauschen, uns gegenseitig motivieren und konkrete Umsetzungen diskutieren.“
Zusammengefasst: Die räumliche Distanz über Livestream und die Hygiene-, Masken- und Distanzregeln in der Cité Fertile standen dem strategischen und inhaltlichem Austausch nicht im Weg, im Gegenteil, die „convivalité“ und Verbundenheit war deutlich spürbar.
Nicht umsonst war das Motto „Collectif – collectif – collectif“ („gemeinschaftlich“).
- Collectif: Wir sitzen alle im selben Boot.
- Collectif: Es ist unsere Aufgabe, gemeinsame Lösungsansätze zu formulieren.
- Collectif: Nur gemeinsam können wir die sozio-ökologische Transformation meistern!
Deutsch-französische Vernetzung in und für ein grüneres Europa
Als viertes „collectif“ sehe ich eine tiefgehende europäische Zusammenarbeit als wichtigen Pfeiler für den Erfolg und europäischen Klimaschutz. Geschichtlich, symbolisch aber auch in den aktuellen Geschehnissen ist die deutsch-französische Zusammenarbeit ein wichtiger Hebel/Impulsgeber für die europäische Einigung. Sie gehört für mich als Deutsch-Französisch-Schweizerin und überzeugte Europäerin zu meinen Herzensthemen.
Gemeinsam mit David Cormand, dem EELV-Europaabgeordneten, Neil Makkarof von Réseau Action Climat (französisches Netzwerk von Klimaschutzorganisationen) und Jens Althoff, Leiter der Heinrich Böll Stiftung Paris (Organisator des Ateliers) diskutierten wir im Rahmen des Ateliers „Relancer l’Europe pour le climat: Le rôle du tandem franco-allemand“ (Europa fürs Klima mobilisieren : Die Rolle des deutsch-französischen Tandems) über die Möglichkeiten, wie Deutschland und Frankreich Impulsgeber für einen europäischen, ambitionierten Klimaschutz sein können. Der europäische Green Deal hat viel Potential, und sowohl Deutschland als auch Frankreich können als „Verhandlungsführende“ im Rat der EU während ihrer Ratspräsidentschaften (die Deutschland aktuell bis Ende des Jahres innehat und Frankreich 1.Hälfte 2022) wichtige Fortschritte im Klimaschutz einbringen. Wenn sich Deutschland und Frankreich nicht verständigen, kommen wir in Europa nicht vorwärts. Es gibt kein „entweder/oder“ in dieser Diskussion, sondern nur ein gemeinsam. Und um den deutsch-französischen Motor zu mobilisieren, bedarf es sowohl die Arbeit der Politik, als auch Engagement von der über die Grenzen hinweg vernetzten Zivilgesellschaft. Nur so können wir den Klimaschutz in Europa gemeinsam mit allen EU Mitgliedern voranbringen.
„Das deutsch-französische Tandem ist wie ein Ruderboot. Wir müssen gemeinsam in dieselbe Richtung rudern.“
Im EU Parlament setze ich mich gemeinsam mit meinem französischen Kollegen David für eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit ein und einen strukturierten Austausch zwischen den französischen Grünen EELV und dem deutschen Bündnis’90/Die Grünen. Denn um als Grüne im EU-Parlament (mit knapp 10% Grüne/EFA Mitgliedern) eine Stimme zu haben, ist es wichtig, dass wir uns grenzüberschreitend verständigen. Denn obwohl EELV und B90/Die Grünen unterschiedliche Ansichten in den Strategien aufgrund der politischen Kulturen haben können, steht bei beiden das Kernthema des Klimaschutzes und der Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft (hin zu mehr Resilienz und Nachhaltigkeit) ganz oben in unseren Prioritäten. Dieses größere Ziel vereint uns und wir wissen, gemeinsam und wenn wir mit einer starken Stimme sprechen, können wir im EU Parlament viel erreichen, für unser aller Gemeinwohl: für unsere Umwelt, unser Klima, unsere Gesellschaft und unsere Gesundheit. Auch wenn nicht immer alle denselben Rhythmus / dieselbe Kraft haben, geht es darum, die anderen mitzunehmen und vom Strom Richtung Europa gleiten lassen.
„Le moment après la victoire est plus important que la victoire elle-même.“ (Der Moment nach dem Erfolg ist wichtiger als der Erfolg selbst)
Es heißt „Grün Voraus“ – der grüne Erfolg bei den französischen Kommunalwahlen war erst der Beginn!
Jeanne Barseghian in Straßburg, Michèle Rubirola in Marseille, Pierre Hurmic in Bordeaux, um einige der frisch gewählten grünen französischen OberbürgermeisterInnen zu nennen.
In den Städten herrscht große Euphorie, die Klimapolitik auf kommunaler Ebene konkret zu gestalten: Mehr Grünflächen, Fahrradstraßen, Einrichtung von „Maison de Quartiers“ (Gemeindehäusern)… Doch wie gelingt jetzt die erfolgreiche Umsetzung der grünen Projekte?
Wertvolle Einblicke und Erfahrungsberichte konnten bei den JDE u.a. auch aus Deutschland gekommene Gäste einbringen: Erfahrene KommunalpolitikerInnen aus Deutschland, Andreas Wolter (Stellvertretender Oberbürgermeister von Köln, Präsident des Klima-Bündnis) und Ramona Pop (Ministerin für Wirtschaft, Energie und Unternehmen des Landes Berlin, Stellvertretende Bürgermeisterin von Berlin) reisten aus Deutschland an und teilten ihre Erfahrungen im Atelier „Les communes, moteurs de transition écologiques: les regards franco-allemands“ (Kommunen als Motoren des ökologischen Wandels: Deutsch-französische Perspektiven) im Gespräch mit Jeanne (Barseghian) und David (Belliard) (Stellvertretender Bürgermeister in Paris) als frisch gewählte KommunalvertreterInnen.
Dabei wird deutlich, die französischen Grünen EELV sind längst über das Thema Umweltschutz hinausgewachsen. Das lässt sich auch an der Themenvielfalt, die bei den JDE diskutiert wurden deutlich erkennen:, Chancengleichheit, Relokalisierung (Rückverlagerung der Industrie), Tierschutz und Agrarwende, universelle Menschenrechte und universelles Grundeinkommen, nachhaltiger Tourismus und Verkehrswende, die Energiewende und Atomausstieg, die europäische Zusammenarbeit und vieles mehr.
Mit all diesen Ideen und dem wertvollen Erfahrungsaustausch geht jetzt der Blick nach vorne: Es stehen in Frankreich weitere wichtige Wahlen an; eine Chance, die Grüne Welle fortzuführen und auf allen Ebenen auszubreiten: Senatswahlen am 27. September 2020 (die Hälfte des Senats erneuert: EELV gewinnt 12 Sitze; vorher 0): Regionalwahlen im März 2021; und natürlich sind die französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2022 bereits im Blick. Es geht jetzt erst richtig los!
*Die Sommeruni wurde von sechs „ökologisch-grün-linken“ Parteien organisiert (Europe Ecologie les Verts, Alliance écologiste indépendante, CAP21, Génération Écologie, Générations, le Mouvement des Progressistes) und unterstützt von Partner-Organisationen (la Cité Fertile, der Heinrich-Böll-Stiftung, Fondation de l’écologie politique, Les Jeunes Écologistes, la Fève).