Raus aus der Coronastarre – den Schengenraum wieder zum Laufen bringen!
Ich packe meinen Koffer und nehme mit…
Vorschläge für einen wieder intakten Schengenraum.
Europas Reisefreiheit ist ein wertvolles Gut, das aktuell nicht mehr besteht. Dies stellt viele Menschen vor große Herausforderungen, insbesondere die Grenzpendler*innen, Familien, deren Angehörige in einem Nachbarland leben und auch der europäische Binnenmarkt für Warenverkehr wird durch die Grenzkontrollen und langen Wartezeiten beeinträchtigt.
Viele Fragen beschäftigen uns… Wann und unter welchen Bedingungen können die Grenzen wieder geöffnet werden? Wann werden wir „hinter“ der Grenze lebende Partner*innen, Familienangehörige, Freunde wiedersehen können? Werden wir diesen Sommer in den Urlaub fahren können?
25 Jahre offene Grenzen im Schengenraum und wo stehen wir heute?
Vor 25 Jahren wurden die Grenzkontrollen zwischen 7 EU-MS abgeschafft und seitdem schrittweise erweitert, sodass heute insgesamt 22 Länder im Schengenraum sind (davon 4 EFTA-Staaten). Dank des Schengener Grenzabkommens und des gemeinsamen Visakodex (einheitliche Kriterien für die Visumausstellung) können Menschen sich innerhalb des Schengen-Raums frei bewegen. Die großen Errungenschaften der offenen Grenzen, die uns „selbstverständlich“ erscheinen, werden erst jetzt sichtbar, wo sie nicht mehr funktionieren. Wir können und wollen uns ein Europa ohne offene Binnengrenzen nicht mehr vorstellen und können dies nur zeitweise akzeptieren.
Grenzschließungen und Lockerungen sollten miteinander einhergehen.
Seit der Flüchtlingskrise 2015 wurden einige einseitige Grenzkontrollen auferlegt, wodurch der Schengenraum bereits seither nicht mehr vollkommen intakt war.
Mit der progressiven Ausbreitung des Coronavirus in Europa wurde klar, dass die Länder reagieren müssten und die Frage nach der effizientesten Strategie stellte sich.
Die EU-Kommission schlug einen Ansatz vor, die EU „nach außen“ zu schließen, um genau die Offenheit der EU-Binnengrenzen beizubehalten.
Die EU-Mitgliedstaaten reagierten neben der Abschottung nach außen jedoch auch mit einer Schließung der nationalen Grenzen und setzen damit das Schengenabkommen der offenen Binnengrenzen aus. Diese Schließungen erscheinen rechtlich fragwürdig. Denn dem Schengener Grenzkodex zufolge, dürften Binnengrenzen nur bei „unmittelbarer, nicht vorhersehbarer Gefahr“ geschlossen werden, was hier nicht der Fall ist. Und da auch schon erste Lockerungsmaßnahmen in Kraft treten, das „Peak“ vorerst überwunden zu sein scheint, müssen wir schnell wieder hin zu einem funktionsfähigen Schengenraum kommen. Dies ist im Zuge der Lockerungen sogar notwendig: Denn in Frankreich öffnen die Schulen schrittweise, in Deutschland bisher nur die Oberstufenklassen. Was passiert mit Schulkindern, die über die Grenze müssen, um ihre Schule zu besuchen? Die schrittweise Grenzöffnungen müssen deshalb die Überlegungen um Lockerungen begleiten und einhergehen.
Was wird aus dem Sommerurlaub – worauf können wir uns einstellen?
Diese Frage beschäftigt viele von uns, die Hoffnungen, unsere im Ausland lebenden Freunde und Verwandte zu besuchen, sind groß und in manchen Fällen sind Grenzübertritte aus persönlicher Sicht gar notwendig.
Auf die für uns alle so wichtige “Reisezeit im Sommer” müssen wir voraussichtlich nicht verzichten, uns aber sicherlich auf neue Gewohnheiten beim Reisen (mit Maske und Abstand) sowie möglicherweise einen Perspektivenwechsel gefasst machen. Von Fernreisen rät das Auswärtige Amt ab, jedoch gibt es so einige Alternativen, die für manche vielleicht über Gewohnheitsmuster hinausgehen.
…einen Erlebnisurlaub in der Natur?
…einen Strandurlaub an der Ostsee für Norddeutschland?
…Wandern in den Bergen für Süddeutschland?
Regionale Urlaubsziele sind auch eine attraktive Möglichkeit, um unsere Art zu reisen und Urlaub zu machen nachhaltig verändern könnten. Weg von der Over- und Massentourismus-Kultur und hinein in die Natur, die uns “vor unserer Haustür”, also in nächster Nähe erwartet.
Urlaub im europäischen Ausland?
Sonne tanken am Mittelmeer, Italiens “dolce vita” genießen oder in Österreich wandern?
Wenn die Reiseeinschränkungen anhalten und die Grenzen geschlossen bleiben, würde das bedeuten, wir müssten darauf verzichten.
Rund 12 % der Beschäftigten in der EU (oder 22.6 Millionen Menschen) arbeiten in oder nahe der Tourismusbranche. Gerade junge Menschen arbeiten dort. Durch die Ausgangsbeschränkungen und Konsequenzen der Coronakrise wird der Tourismussektor besonders stark betroffen sein. Die Herausforderung ist es, sowohl kurzfristige, mittelfristige als auch langfristige Lösungen für die Zukunfts des Tourismussektors zu vereinbaren.
Kurzfristig geht es darum, Liquidität zu ermöglichen, die finanziellen Möglichkeiten und Rechte sowohl der Kunden als auch der Unternehmen sicherzustellen.
Mittelfristig müssen wir Lösungen für den Sommer vorsehen. Darum arbeiten die EU-Mitgliedsstaaten daran den europäischen Sommertourismus mit kreativen Lösungen – oder der Kommission zufolge „smart solutions“[1]– möglich zu machen. Beispielsweise wird in Griechenland überlegt, einen „health pass“ auszustellen, um Einreisen für touristische Zwecke zu ermöglichen.[2]
Hier brauchen wir einen einheitlich europäischen Ansatz für die Kriterien zur Ein- und Ausreise.
Langfristig haben wir jetzt die Chance den Tourismussektor nachhaltig zu gestalten, weg “Overtourimus” oder Massentourismus hin zu einem sozial- und umweltgerechten Tourismus.
Welche Auswege gibt es für die Grenzöffnungen?
Am 17. April 2020 verabschiedeten wir im EU Parlament eine Resolution, die als Antwort auf COVID-19 verabschiedet wurde, in der wir fordern schnell wieder zur vollen Funktionsfähigkeit des Schengenraums zurückzukommen.[3]
In Deutschland gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Herangehensweisen, um regionalen Tourismus zu ermöglichen: Während in Baden-Württemberg seit dem 18.05. wieder Urlaub am Bodensee gemacht werden darf, sollen in Bayern die Hotels, Herbergen und Campingplätze erst zum 30.05. öffnen dürfen.
Nach dem Ausbruch der Coronavirus-Epidemie standen wir weltweit vor der Herausforderung, die Krankheitsausbreitung zu stoppen. Seither haben sich die Krisenherde wieder erleichtert, wodurch erste Lockerungsmaßnahmen schrittweise in Kraft treten.
Gemeinsam mit Grünen Europa- und Bundestagsabgeordneten adressierten wir einen Brief an Bundesinnenminister Seehofer und die EU-Kommissarin für Inneres Johansson, in dem wir ein einheitliches Vorgehen in Richtung einer Exit-Strategie aus den Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union und des Schengen-Raums fordern. Eine europäische Koordinierungen sehe ich als wichtige Bedinung, um die baldigen Grenzöffnungen zu ermöglichen.
Wenn man auch die prompten Grenzschließungen zu Beginn als gesundheitliche Schutzmaßnahme verstehen kann, sind diese heute überfällig. Vielmehr gilt es jetzt einen regionalen Ansatz auszuarbeiten, wie die Ausbreitung des Virus regional bewertet werden kann, um die pauschalen Grenzschließungen zu vermeiden.
Wir brauchen einheitliche Standards für die regionale Schließung und Öffnung von Grenzen, wodurch jede Grenzregion einzeln bewertet werden kann. Falls notwendig, sollte es dann regionale Einreisebeschränkungen geben. Somit könnte gewährleistet werden, dass Bewegungsfreiheiten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit möglich sind.
Denn es geht hierbei auch darum, ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens bei den europäischen Nachbarländern zu stiften, dass die Virusausbreitung unter Kontrolle ist und somit die Grenzen wieder geöffnet werden können. Erste Schritte wurden am 15. Mai 2020 bereits umgesetzt: die Grenze nach Luxemburg wieder geöffnet sowie Grenzkontrollen zwischen Frankreich, Österreich, Schweiz mit Deutschland “gelockert”. Damit sind grenzübertritte sind aus familiären oder geschäftlichen Gründen wieder erlaubt! Für den 15. Juni kündigt Innenminister Horst Seehofer “ein vollständiges Ende der Grenzkontrollen” an.
Wir brauchen Europäische Solidarität: Unterstützung mit medizinischer Ausrüstung, Masken etc. und Patientenaufnahme von dort, wo die Krankenhäuser überlastet sind.
Aber auch finanzielle Unterstützungen sind ein Zeichen europäischer Solidarität. Gemeinsame Anleihen, die sogenannten Coronabonds, würde den besonders stark betroffenen EU-Mitgliedstaaten helfen und die europäische Einigkeit und Solidarität stärken.
Die Konferenz zur Zukunft Europas ist eine mögliche Chance für den Wandel.
Bei dieser Konferenz handelt es sich um ein Austauschformat zwischen BürgerInnen, Stakeholdern und EU-Institutionen um Europa nach unseren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten. Sie soll in naher Zukunft starten und sich über zwei Jahre ziehen (ursprünglicher Start am 09.05.2020 vorgesehen und aufgrund der Covid19-Ausbreitung verschoben). In welchem Europa wollen wir in Zukunft leben?
In diesem Zuge sollten wir das sich öffnende Gelegenheitsfenster nutzen, um grundlegende Reformen der EU, ihrer Institutionen und Kompetenzen vorzunehmen. Ein Ansatzpunkt wäre in diesem Fall, die EU Mitgliedsstaaten bei Entscheidungen, wie Grenzkontrollen, zu einem koordinierten Vorgehen zu verpflichten (unilaterale Maßnahmen, die gravierende europäische Auswirkungen haben, nur im Falle einer fehlenden Einigung durch die „Erlaubnis“ der EU Kommission zuzulassen). Damit könnten zukünftig unilaterale und voreilige Grenzschließungen durch EU-Mitgliedstaaten erschwert werden.
Lasst uns Europa gemeinsam neu definieren!