Wie sich in Deutschland lebende Europäer*innen in ihrer Kommune/Gemeinde engagieren können.
- Seit 1995 können EU Bürger*innen in Deutschland ihr aktives (wählen) und passives (gewählt werden) Wahlrecht bei den Kommunalwahlen nutzen.
- Durchschnittlich 54 % der Unionsbürger wissen über ihr aktives und passives Wahlrecht bei Kommunalwahlen in ihrem Wohnsitzmitgliedland Bescheid, doch ihr Anteil geht seit 2010 zurück (Statistik von 2015).
- 1998 setzten Grüne und SPD sich für die Ausweitung des Kommunalen Wahlrechts für auch nicht Nicht-EU Ausländer*innen ein, dafür gab es allerdings nicht die erforderliche 2/3 Mehrheit (um den Grundgesetz Artikel 28 zu ändern).
Meine zehnjährige Erfahrung als grüne Stadträtin in Stuttgart, motiviert mich dazu, diesen Artikel zu schreiben. Ich bin in Berlin geboren, habe meine Jugend und Schulzeit in Frankreich verbracht und bin für mein Studium der Umwelt- und Forstwissenschaften wieder nach Deutschland (Freiburg) gekommen. Beruflich war ich später erst selbstständig und dann 10 Jahre als Stadträtin der Grünen in Stuttgart engagiert und lernte aus eigener Hand kennen, wie ich bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Stuttgart, von den ÖNPV bis hin zur Bereitstellung von KiTas, aktiv mitwirken konnte.
Mitwirkungsmöglichkeiten in den Kommunen – aus eigener Erfahrung.
In den 10 Jahren als Grüne Stadträtin in Stuttgart habe ich viel erlebt und gelernt. Meine Erfahrungen gingen durch unterschiedlichste Felder: Ob bei den Verhandlungen für eine Tarifreform des öffentlichen Nahverkehrs in Stuttgart, im Aufsichtsrat des Stuttgarter Flughafens, in Begleitung der GWÖ-Zertifizierung zweier kommunaler Eigenbetriebe Stuttgarts (der Wasserwerke, ELW/Eigenbetrieb Leben und Wohnen) auf mein Mitwirken hin, oder im Dialog mit Förstern für eine nachhaltige Waldwirtschaft für den Klima- und Artenvielfaltschutz. Vor Ort lässt sich die Mobilitäts- und Agrarwende konkret umsetzen.
Besonders prägend war für mich auch die Strategie des Stuttgarter Wegs für die Integration von Geflüchteten seit 2015, bei der sich alle Fraktionen des Stadtrates (ausgenommen der AFD) geschlossen hinter das Projekt gestellt haben, um zehn Tausenden geflüchteten Menschen eine menschenwürdige Unterbringung und Integration zu ermöglichen: Sprachunterricht, Tanzstunden, Fahrradstation, Arbeitsstellen in der Kommune. Die Grünen, die Konservativen, die Kirchen, die Schulen, die Kultur, alle haben mitgewirkt. Insgesamt mehr als 2.100 Ehrenamtliche engagieren sich in Stuttgart für die Flüchtlingshilfe mit viel Kraft, Zeit und Herzblut. Sie leisten Großartiges und sind ein wahres Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dabei waren insbesondere auch die Menschen, die selbst wissen und erfahren haben, wie schwierig es sein kann, sich zu integrieren, Gold wert! Diese Erfahrungen haben mir auch verdeutlicht, wie wichtig unsere Kommunen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Vernetzung der Bürger*innen sind.
Um Europa’s Kommunen im Herzen der Europäischen Demokratie weiter zu vernetzen, für den Schutz unserer Wälder, der Artenvielfalt und für eine europäische Verkehrswende, habe ich 2019 genau aus dieser Motivation heraus als Europaabgeordnete fürs EU Parlament kandidiert – und erfolgreich.
Gemeinsam können wir Europas Kommunen weiter vernetzen
Der kommunale Bezug bleibt mir sehr wichtig und insbesondere die Vernetzung unserer grünen Städte in Europa, die grenzüberschreitende europäische Zusammenarbeit ist für den Zusammenhalt und die Solidarität insbesondere auch in Zeiten von Krisen, wie der COVID19 Pandemie wichtig. Vergangenen Monat haben wir gemeinsam mit Franziska Brantner eine Online-Veranstaltung unter dem Titel „France goes green: Grüne Städte für Europa“ organisiert, in wir ein bemerkenswertes Interesse von deutscher und französischer Bürger*innen feststellen konnten und hier auch noch viel Vernetzungspotential besteht. Straßburg, Schiltigheim, wie auch Lyon, Bordeaux, Besançon, Poitiers, Tours und Annecy insgesamt 11 Städte (über 30.000 Einwohner= haben seit den letztjährigen Kommunalwahlen eine(n) grüne(n) Oberbürgermeister*in. Mit diesem überragenden Erfolg werden die Grünen jetzt als führende Kraft im linken Spektrum wahrgenommen, insbesondere auch mit Blick auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022. Gemeinsam mit den französischen Bürgermeister*innen diskutierten wir über den Erfolg der „grünen Welle“ bei den französischen Kommunalwahlen, über die Erwartungen und Herausforderungen, die nun anstehen. (Hier könnt ihr die Diskussion Nachschauen).
Europa der Vielfalt, Kommunen der Vielfalt
Durch meine Erfahrungen im Vergleich zu französischen Kommunen fielen mir aber auch Unterschiede auf. Die Kommunen Deutschlands und Frankreichs sind unterschiedlich, in ihrer Organisation, dem Wahlrecht (in Frankreich zentral, in DE länderspezifisch), in der Mehrheitsbildung, den Kompetenzen, aber auch in ihrer Politisierung. In Frankreich spiegeln die Kommunalwahlen, die zentral organisiert und landesweit gleichzeitig stattfinden, ein Stimmungsbild der Nationalen Politik wider. In Deutschland hängen die kommunalen Kompetenzen und das Wahlrecht von den Bundesländern ab, jedoch ist „Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung“ (gouvernance locale) bundesweit verankert (auch im Grundgesetz: Art. 28 Abs. 2). Das bedeutet eine Übertragung von Verwaltungsaufgaben an die Kommunen mit eigenverantwortlicher Gestaltung. Trotz allem, sind die Mitwirkungsmöglichkeiten, sowohl in deutschen als auch französischen Kommunen hervorzuheben: Es freut mich zu sehen, dass die Möglichkeiten der Mitgestaltung durch Bürgerforen und Konsultationen, zwar auf unterschiedliche Weise praktiziert, aber in beiden Ländern aktiv genutzt werden und die „Demokratie vor Ort“ möglichst menschennah gestaltet wird.
Die Vielfalt ist wertvoll: Europäer*innen in deutschen Kommunen
Die europäische Staatsbürgerschaft ermöglicht es Bürger*innen in einem anderen europäischen Land zu leben, zu arbeiten aber auch auf kommunaler und europäischer Ebene, zu wählen und sich wählen zu lassen. Dabei gelten für EU-Staatsbürger/-in dieselben Voraussetzungen wie für Staatsangehörige der Landes (bspw. muss man für mind. 6 Monate in einer Gemeinde gewohnt haben, um kandidieren zu dürfen). Einige Details und Voraussetzungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland.
4 Gründe, sich in vor Ort zu engagieren:
- Weil unsere Demokratie vom Mitmachen lebt: durch partizipative Prozesse, engagiert oder als Bürger*in in Entscheidungsprozesse miteinbezogen/konsultiert zu werden. Wir leben in Europa in Frieden und Freiheit und können die Demokratie durch Engagement und aktive Partizipation lebendig halten.
- Weil Europa kulturell und strukturell vernetzt ist, und die Vielfalt unsere Kommunen bereichert. Gemeinsam europäisch vernetzt zu denken und zu handeln, bringt uns weiter. Auch die Erfahrungen aus den jeweiligen Herkunftsländern erweitert unser Denken und Zusammenleben.
- Weil wir über die Welt, die uns umgibt, jeden Tag voneinander und miteinander lernen können. Europäisches und vernetztes Denken (durch Einbringen von Kenntnissen und Erfahrungen aus dem Herkunftsland)
- Als EU Bürger*in hat man die Chance zu beeinflussen, dass das Geld richtig investiert wird: Für den Klimaschutz vor Ort, für den Ausbau von Fahrradstrecken, für bezahlbare Wohnungen, für zugänglichen ÖPNV, für die Ausstattung der KiTas, zum Schutz der Biotope und vieles mehr.
- Weil wir auch in den Kommunen Klimaschutz voranbringen können. Konkrete Projekte vor Ort lassen sich umsetzen für lebenswerte und grünere Kommunen, die unser alltägliches Leben umgeben.
Mein Appell richtet sich insbesondere auch an in Deutschland lebende Französ*innen, die sich darüber hinaus auch für die französischen Konsulatswahlen aufstellen lassen (vom 2.-8. März) und an den Wahlen am 30. Mai 2021 teilnehmen können:
Chères Francaises et chers Francais vivant.e. en Allemagne,
Avez vous déjà considéré.e.s de vous engager dans votre commune ?
Changeons la donne ensemble pour verdir nos communes européennes!
„Europa in Vielfalt vereint“ und für den Klimaschutz – und das auch in unseren Kommunen vor Ort!
Lasst uns den Wandel gemeinsam anpacken und unsere Kommunen lebhafter, klimafreundlicher und vielfältiger gestalten!