Profit zu Lasten von Mensch und Umwelt – von einer Pandemie, die zeigt, was uns krank macht
Die COVID-19 Pandemie bestimmt die neue Realität, sie fängt uns ein und hält die ganze Welt in Atem. Die Wirtschaft kommt in vielen Ländern fast zum Stillstand und wir sehen Not und große Unsicherheiten, wo der politische Wille zu handeln zu langsam kommt. Unser Wirtschaftssystem in Europa, das wir uns nun über Jahrhunderte Schritt für Schritt aufgebaut haben, bröckelt, wo vorher schon Risse waren. Die aktuelle Situation zeigt auch, wie soziale Ungleichheiten tief in unserem Wirtschaftssystem verankert sind. Eine Umfrage der Initiative „Netzwerk Chancen“ zeigt, dass besonders sozial-benachteiligte Menschen von der Pandemie betroffen sind. Deutlich wurde dies auch im jüngsten Skandal um den Schlachtbetrieb Tönnies in Nordrhein-Westfalen. Dort erkrankten aufgrund der katastrophalen Arbeits- und Unterbringungssituation überproportional viele Gastarbeiter an COVID-19 .
Diese und andere schlimme Bilder gehen um die Welt. Sie zeigen uns auf drastische Art und Weise, was unser blinder Konsum für soziale und ökologische Auswirkungen haben kann. Viruserkrankungen, wie Corona, steigen weltweit an. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Pflanzen- und Tierarten, also dem Verlust unserer Biodiversität. Denn umso mehr wir in ihren Lebensraum eindringen, umso größer ist die Gefahr von einer Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen. Zerstörung von Natur, erhöht die Wahrscheinlichkeit für Pandemien. Denn Umweltschutz ist auch Seuchenschutz, wie Dirk Steffens, TerraX-Moderator in unserem gemeinsamen Webinar anschaulich schildert.
Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) und der Postwachstum-Ansatz sehen eine Welt vor, in der unsere Wirtschaft sich an neuen Prinzipien lehnt. Die Pandemie hat die tiefen Abgründe und Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen Systems offengelegt und die gilt es zu schließen, um eine gerechtere und lebenswertere Zukunft für alle zu schaffen. Dazu müssen wir unsere Wirtschaft als ganzheitliches Konzept verstehen, das den Menschen wieder ins Zentrum stellt, statt den kurzfristigen Profit.
Blick nach vorne – Mit der Gemeinwohlökonomie können wir das besser!
Wir müssen uns fragen: Was für eine Gesellschaft möchten wir sein? Welche Werte gilt es zu schützen? Wie können wir eine sichere, gerechte und klimaschonende Zukunft in Europa und weltweit gemeinsam gestalten?
Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) identifiziert Grundwerte, welche in allen demokratischen Gesellschaften eine Rolle spielen: Menschenwürde, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Wer dies mit Kopfnicken liest, führe sich gleichzeitig unser aktuelles Wirtschaftssystem und seine Auswüchse vor Augen. Spiegelt es diese Werte wider?
Und nun stellen wir uns vor, es wäre schon so. Wir würden feststellen, dass unsere Gesellschaft insgesamt resilienter geworden ist – und dies nicht zuletzt in Bezug auf Pandemien. Gesunde Ernährung, weniger Stress, sichere Arbeitsplätze, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein starker sozialer Zusammenhalt stünden an Stelle von Burnouts im Hamsterrad, Ausbeutung und dem Auseinanderdriften der Gesellschaftsschichten. Wir sind Teil eines Ökosystems und stehen nicht darüber. Das bedeutet im Kern auch, dass unser (Über-) Leben abhängig von einem intakten Ökosystem ist. Genau deshalb müssen wir es schaffen, die Gesellschaft als Ganzes aufzufangen und jeden Menschen als wertvolles Bindeglied in einer Kette zu betrachten. Um die Wirtschaft zu transformieren, braucht es zuallererst ein großflächiges Umdenken und politischen, transparenten Handlungswillen und Beteiligung der Bürgerschaft. Dazu benötigen wir vor allem transparente staatliche Investitionen in Gesundheit, Bildung, nachhaltige Mobilität, bezahlbare Wohnungen, gesunde Lebensmittel, faire Löhne und klimagerechte Arbeitsplätze. Die Devise muss dabei lauten: Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen! Unternehmen, die zum Gemeinwohl beitragen, sollen gefördert werden – bevorzugt bei öffentlichen Vergaben und sollten durch Steuervorteile Anreize erhalten. Im gleichen Zug bedeutet dies dann: Schluss mit der Privatisierung von Profiten und der Externalisierung von Schäden an Menschen und Umwelt!
Mitten im Abenteuer Wandel unterwegs
Einige Unternehmen haben sich bereits auf den Weg zur Gemeinwohl-Unternehmen gemacht. Gemeinsam mit meiner Kollegin Henrike Hahn treffe ich am 20. Juli 2020 um 20:30 Uhr zwei ethische Unternehmen für einen spannenden Austausch zwischen Unternehmen und EU-Politik. Mitverfolgen kann man das Ganze im Livestream : Post-COVID-19-Economy – Startschuss für eine Wirtschaft, die dem Gemeinwohl dient?
Die Corona Pandemie zeigt uns, dass unsere Art zu leben und wirtschaften sich ändern kann. Ich nutze diese Zeit, in der man virtuell an vielen Orten sein kann, um mich digital auszutauschen, um die Ideen der Gemeinwohlökonomie weiterzutragen. Dabei beschäftigt mich besonders das Thema „mehr Gemeinwohl auf dem Teller“. Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) sollte nach Gemeinwohlkriterien subventionieren und nicht nach dem aktuellen Gießkannenprinzip. Damit das Realität werden kann, habe ich einen wissenschaftlichen Artikel geschrieben, der die entsprechende transformative Forschung und Realexperimente anstößt und vernetze mich darüber hinaus derzeit mit Europa-Abgeordneten aus Deutschland, Österreich und Frankreich. Zudem arbeite ich an einem Kapitel für das allererste Buch, das die Gemeinwohlökonomie-Bewegung selbst schreibt! Darin berichte ich von meiner eigenen Erfahrung die Gemeinwohlökonomie in der Kommunalpolitik als Stuttgarter Stadträtin einzuführen, interviewe Gerhard Schick von der Finanzwende und gehe auf meine Vision für die europäische Ebene ein. Das Abenteuer Wandel bleibt spannend, wir stecken mittendrin! Eins kann ich euch versprechen: Ich bleibe dran!
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Bündnis `90/Die Grünen. Neuer Wohlstandskonsens. Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaften Globale Entwicklung sowie Wirtschaft & Finanzen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.08.2019
Lange, Bastian; Hülz, Martina; Schmid, Benedikt; Schulz, Christian. Postwachstums-Geographien: Raumbezüge diverser und alternativer Ökonomien