Der Verkehrssektor ist für fast 30% der gesamten CO2-Emissionen der EU verantwortlich. 72% entfallen dabei auf den Straßenverkehr. Und die Emissionen im Verkehr steigen rasant weiter, was wiederum die Einspar-Erfolge in anderen Sektoren, wie der Industrie, zunichte macht. Auch Corona bewirkt hier anscheinend keine Trendwende.
Alleine diese Zahlen zeigen auf, dass die Mobilitätswende zur Bewältigung der Klimakrise unabdingbar ist. Für diese Wende bildet die Schiene das passende und nachhaltige Rückgrat. 54% des Schienennetzes in der EU sind bereits elektrifiziert. Dies ist der Hauptgrund, warum der Schienenverkehr weitaus weniger CO2 als der Straßen- und Luftverkehr emittiert. Der Schienenpersonenverkehr ist jedoch nur einen Anteil am EU-Personenverkehrsmarkt (Modal Split) von 7,6% (2016). Der Anteil im Güterverkehrsmarkt ist mit 16,7 % (2017) etwas besser. Für eine erfolgreiche Transformation ist somit eine drastische Verkehrsverlagerung auf die klimafreundliche Schiene entscheidend. Deshalb begrüße ich es grundsätzlich, dass die Europäische Kommission 2021 im Zuge des „European Green Deal“ zum „Jahr der Schiene“ erklären möchte.
Das Jahr der Schiene ist kein Selbstläufer
Die Beschlussvorlage der Kommission sieht dafür in erster Linie Projekte, Debatten, Veranstaltungen und Initiativen vor. Mit diesen Vorhaben soll die Schiene als attraktive und nachhaltige Form der Fortbewegung beworben werden. Gerade in Zeiten von Corona, wo die Bahnunternehmen zuletzt mit massiven Fahrgasteinbrüchen zu kämpfen haben, kann die Bewerbung sicherlich helfen, dem Vertrauensverlust gegenüber einer sicheren Nutzung der Bahn entgegenzuwirken. Appelle und Kampagnen ändern jedoch nur wenig an den strukturellen Problemen und Benachteiligungen der Schiene. Die Bahn wurde in Europa zu lange vernachlässigt! Ohne handfeste Maßnahmen können die angestrebten Zuwächse – die Bundesregierung will die Anzahl der Bahnpassagiere bis 2030 verdoppeln – nicht erreicht werden. Als ernannte Berichterstatterin auf Seiten des Europaparlamentes ist es daher mein oberstes Ziel, dass es nicht nur bei einer Marketing- und Kulturaktion bleibt.
Bedingungen für eine „Renaissance der Schiene“ schaffen
Wie können wir dem Bahnverkehr in Europa eine neue Bedeutung geben? Welche Steine liegen aktuell noch im Weg? Ein wichtiger Faktor sind die unfairen Wettbewerbsbedingungen für die Bahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern wie die Luft- und Schifffahrt und auch dem Straßenverkehr. Die klimaschädlichen Verkehrsträger wie der Luftverkehr werden bisher künstlich verbilligt und nachhaltige Verkehrsträger wie die Schiene oftmals künstlich verteuert. Ein prominentes Beispiel ist die fehlende Kerosinsteuer. Die Schiene muss hingegen Energie- und Mehrwertsteuer aufwenden. Ebenso gibt es eine verpflichtende Schienenmaut, jedoch keine Mautverpflichtung für die Straße.
Wir brauchen ein europäisches Eisenbahnnetz
Das Potenzial der Schiene in Europa gilt es zu Nutzen. Dafür muss die Schiene endlich grenzüberschreitend gedacht werden, um von einem Flickenteppich nationaler Netze zu einem echten europäischen Eisenbahnnetz zu kommen! Weiterhin fehlt ein echtes europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz. An dieser Stelle dürfen aber auch nicht die vermeintlich kleinen grenzüberschreitenden Lückenschlüsse im europäischen Bahnnetz – sogenannten „Missing Links“ – vergessen werden. Sie liegen meist abseits der prestigeträchtigen Großprojekte, die Milliarden verschlingen. Bei den „Missing Links“ lässt sich jedoch oft mit wenig Geld, ein großer europäischer Mehrwert schaffen. Auch weil die Grenzgebiete häufig schlecht an das bestehende Eisenbahnnetz angebunden sind, schlägt man hier zwei Fliegen mit einer Klappe. Des Weiteren muss das Europäische Signalsystem (European Rail Traffic Management System) endlich flächendeckend eingeführt werden. Es ist nur ein Beispiel für die nötige Harmonisierung von den vielen unterschiedlichen technischen Standards bei der Bahn in Europa. Nur so kann der einheitlichen Eisenbahnraum in Europa Realität werden und die Schiene ihren großen Vorteil der Netzwirkung voll entfalten!
Die europäischen Bahnen müssen ebenso attraktiver werden
Die Bahnunternehmen in Europa dürfen jedoch nicht aus der Verantwortung genommen werden. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Fahrten sind Kunden weiterhin mit einem Tarifdschungel konfrontiert. Zuweilen sind die Tickets online gar nicht buchbar oder die Fahrgastrechte eingeschränkt, weil mehrere Einzeltickets für eine Strecke erworben werden müssen. Diese Problematik tritt insbesondere bei der Buchung von Nachtzügen auf. Sie sind online teilweise schwer auffindbar und gerade oft in Kombination mit Anschlusszügen nicht buchbar. Eine attraktive Alternative zum Flieger sieht anders aus, wo in der Regel eine einfache Suche im Internet zur gewünschten Ticketbuchung führt.
Der Nachtzug als Erfolgsindikator für das „Jahr der Schiene“?
Mit dem „Europäischen Jahr der Schiene“ verbinde ich die Hoffnung, dass es zu einem weiteren positiven Schub für die Nachtzüge in der EU kommen wird. Wäre es nicht toll, wenn neue Nachtzugverbindungen 2021 mit symbolträchtigen blauen Wagen und gelben Sternen quer durch Europa entstehen? Für mich wäre dies ein Indikator, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass die Verkehrswende in Fahrt kommt!
Mehr Info:
Beschlussvorlage der Kommission vom “Jahr der Schiene”
Übersicht Verfahren „Jahr der Schiene“ (EN)
Aufzeichnung Verkehrsausschuss vom 23.06.2020 ab 10:35 Uhr