Bei den EU-Bahnfahrgastrechten drohen im Jahr der Schiene nicht hinnehmbare Rückschritte. Die eingeführte Ausnahmeklausel führt zu Rechtsunsicherheit.
Das Europäische Parlament stimmt diesen Donnerstag, den 29. April, über die vorläufige Einigung der Triloge zur Überarbeitung der Bahnfahrgastrechte ab. Der ausgehandelte Kompromiss verfehlt das Ziel, die Eisenbahn als nachhaltigen Verkehrsträger mit starken Fahrgastrechten attraktiver zu gestalten. Vielmehr droht ein Rückschritt, der gerade im Europäischen Jahr der Schiene inakzeptabel ist. Die Grünen lehnen insbesondere die Einschnitte beim Schutz der Fahrgäste im Falle „höherer Gewalt“ (Force Majeure) ab.
Dazu erklärt Anna Deparnay-Grunenberg, Mitglied im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments und Schattenberichterstatterin für die Grünen/EFA:
„Ein massiver Rückschritt droht den Bahnreisenden durch die Schaffung einer Ausnahmeklausel im Fall ´höherer Gewalt´. Bei ´extremen Witterungsbedingungen´ soll beispielsweise der bisherige Anspruch auf Entschädigungen gestrichen werden. Dies führt zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit für Bahnreisende. Eine gerichtliche Klärung steht ins Haus, wie die Kommission bereits eingeräumt hat. Im Gegenzug sind keinerlei Verbesserungen bei den Entschädigungsleistungen vorgesehen.
Das derzeitig hohe Schutzniveau wird durch die Einführung einer ´Force Majeure´ leichtfertig aufgegeben und widerspricht den Zielen des Europäischen Jahrs der Schiene 2021 als auch des European Green Deals, um in großen Schritten mehr Leute vom Bahnfahren zu begeistern.
Ebenso enthält der Kompromiss keinen signifikanten Durchbruch bei den sogenannten „Durchgangsfahrtkarten von A nach B“, unabhängig von der Anzahl der Umstiege oder beteiligten Bahnanbietern. Doch nur mit Durchgangsfahrkarten können Fahrgäste ihre Rechte vollumfänglich wahrnehmen. Diese Tickets sind oftmals auf internationalen Relationen Mangelware. Die Irrfahrt durch den internationalen Tarifdschungel muss beendet werden. Eine attraktive Alternative zum Fliegen sieht anders aus. Bei der Fahrradmitnahme enthält der Kompromiss jedoch Verbesserungen.
In der Summe wiegen die Verbesserungen die Einschnitte nicht auf. Ich bedauere diese Entwicklung sehr, weil die EU bei den Fahrgastrechten Vorreiter ist, wie auch der Rechnungshof attestiert hat. Ich verstehe nicht, dass die anderen großen Fraktionen, diese Einschnitte nun als Erfolg verkaufen. Sie sollten es besser wissen.
Wir wollen noch nicht aufgeben. Die Grüne Fraktion wird daher Änderungsanträge ins Plenum einbringen, um Verbesserungen zu erwirken!“
Hintergrund:
Die Debatte und Verhandlungen ziehen sich nun schon über drei Jahre. Bereits im Jahr 2017 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag zu Überarbeitung der Fahrgastrechte vor. Auslöser war ein Assessmentcenter der Europäischen Kommission, das u.a. eine mangelnde Umsetzung in der EU feststellte. Das Europäische Parlament nahm sich der Ersten Lesung im November 2018 an. Der Bericht des Europäischen Parlaments fiel progressiv aus: verpflichtende Fahrradmitnahme, höhere Entschädigung, Durchgangsfahrkarten, stark verbesserte Anmeldezeiten für Personen mit eingeschränkter Mobilität. Ebenso trug eine breite Mehrheit im Europäischen Parlament die Verhinderung einer Ausnahmeklausel für „höhere Gewalt“ mit. Der Rat konnte sich erst im Dezember 2019 auf eine allgemeine Ausrichtung einigen.
Die Trilog-Verhandlungen gestalteten sich zäh, weil die Positionen von Parlament und Rat weit voneinander entfernt lagen. Am Ende konnte sich der Rat an vielen Stellen durchsetzen. Die Grüne Fraktion wollte weiter verhandeln. Insbesondere auf Seite der Verbraucherschützer ist der Ärger groß. Diese lehnen das Verhandlungsergebnis der Triloge ab. Die Grüne Fraktion hat Änderungsanträge ins Plenum eingebracht, um das Ergebnis zu verbessern. Darüber wird diese Woche abgestimmt.
Briefing des Europäischen Parlaments: Rail passengers‘ rights and obligations in the EU (europa.eu)
Position der VZBV (Verbraucherschützer): Offener Brief anbei
Mehr Informationen zur Ausnahmeklausel „Force Majeure“:
Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs „Die Fahr- und Fluggastrechte der EU sind umfassend, ihre Durchsetzung ist für die Rasenden jedoch nach wie vor schwierig“:
Mehr Informationen zum Europäischen Jahr der Schiene: