Über die Bedeutung der Schiene für das europäische Projekt, die Zugreise des Connecting Europe Express durch 26 Länder und noch zu stellende Weichen.
- Der Connecting Europe Express ist ein EU-Sonderzug. Er fuhr an 36 Tagen in 26 Ländern, legte eine Strecke von 20.000 Kilometern zurück und hielt in mehr als 100 Städten.
- Er fuhr auf Gleisen dreier verschiedener Spurweiten. Der Zug für die normale Spurweite wurde von der CER betrieben und umfasste sechs Wagen von sechs unterschiedlichen Bahnbetreibenden.
- Das Europäische Eisenbahnnetz hat eine Gesamtlänge von 201.000 Kilometern und ist damit das zweitlängste Eisenbahnnetz weltweit (USA: 203.000 Kilometer).
- In der EU sind insgesamt 55% der Strecken des staatlichen Eisenbahnnetzes elektrifiziert, in Deutschland sind es 61%. Nur 27 der 57 deutschen Grenzübergänge sind elektrifiziert.
- Die Eisenbahn ist eines der sichersten Verkehrsmittel überhaupt: Auf zehn Milliarden zurückgelegten Kilometern stirbt statistisch lediglich 1 Passagier.
Das Europäische Jahr der Schiene
Seit dem Jahr 1983 werden Kalenderjahre von der Europäischen Union regelmäßig mit Themen verknüpft. Für das Jahr 2021 einigten sich Rat, Europäisches Parlament und Europäische Kommission auf das Thema Schienenverkehr und erklärten selbiges entsprechend zum Jahr der Schiene. Das Projekt, für welches ich dem EU-Parlament als Berichterstatterin diente, soll der notwendigen Modernisierung des Bahnverkehrs und dessen Attraktivitätssteigerung gegenüber weniger umweltfreundlichen Verkehrsmitteln mehr Aufmerksamkeit verschaffen.
Diese Aufmerksamkeit ist von hoher Dringlichkeit: Der „European Green Deal“ setzt die Ziele, ausgehend vom Jahr 1990 mittelfristig eine Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen zwischen 50% und 55% (bis 2030) und langfristig ein gänzlich klimaneutrales Europa (bis 2050) zu erreichen. Etwa 25% der europäischen Treibhausgasemissionen entfallen derzeit auf den Verkehrssektor, ein Großteil davon auf den Straßenverkehr. Dem Schienenverkehr ist ein nur kleiner Anteil von 0,4% an den Verkehrsemissionen zuzurechnen, während er aber gleichzeitig einen Anteil von etwa 19% am Gütertransport und etwa 8% am Passagiertransport hat (Modal Split) [1]. Eine massive und rasche Verlagerung des Güter- und Personentransports auf die Schiene ist daher unabdingbar für die Erreichung unserer Klimaziele.
Um hierfür zu sensibilisieren, sind im Rahmen des Europäischen Jahres der Schiene einige Maßnahmen und Aktivitäten vorgesehen: Neben Veranstaltungen und Kampagnen sollen Initiativen auf die Vorteile des Bahntransports hinweisen, der sich neben Nachhaltigkeit außerdem durch Sicherheit und Innovationspotential auszeichnet. Ein Projekt von besonderer Bedeutung, um dem transeuropäischen Bahnverkehr mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist der Connecting Europe Express.
Die Reise des Connecting Europe Express
Der Connecting Europe Express (CEE) ist ein Symbolträger, konnte aber dennoch auf anschauliche Art und Weise die vereinende Kraft der Schiene aufzeigen: Er fuhr durch 26 verschiedene Länder mehr als 20.000 Kilometer auf den wichtigsten – die Menschen in Europa verbindenden – Routen, fünf seiner Reiseabschnitte legte er in der Nacht zurück. Insgesamt überquerte er 33 Grenzen und hielt an mehr als 100 Bahnhöfen.
An seinen Zwischenstopps wurde der CEE meist eindrucksvoll in Empfang genommen. Neben politischen Akteuren suchten auch viele Bürger*innen zielgerichtet die angefahrenen Bahnhöfe auf, um den CEE zu betrachten oder an den mit ihm im Zusammenhang stehenden Veranstaltungen teilzunehmen. Am 6. Oktober durfte ich dann sogar selbst im Rahmen einer Veranstaltung des GrandEst-Europe seine Ankunft am Bahnhof in Straßburg begleiten.
Das Gelingen des Projektes war der Zusammenarbeit von mehr als 40 Eisenbahnakteuren zu verdanken und an manchen Stellen durchaus herausfordernd: Der CEE musste auf seiner Reise beispielsweise auf Gleisen mit nicht weniger als drei verschiedenen Spurweiten fahren, weshalb er letztendlich ein Kompositum aus drei verschiedenen Zügen war. Neben dem herausragenden Potential einer die europäischen Länder verbindenden Eisenbahn zeigte der CEE somit auch nach wie vor existierende Hemmnisse des Eisenbahnverkehrs im 21. Jahrhundert auf.
Die Idee für einen europäischen Zug, der in den entsprechenden Farben den gesamten Kontinent befährt, kam übrigens ursprünglich von uns Grünen. In meinem Fall kann ich im Hinblick auf einen solchen Zug sogar schon fast von einer Art Kindheitstraum sprechen. Dementsprechend groß war das Engagement – ursprünglich für die Einrichtung europäischer Nachtzüge – und letztendlich ausschlaggebend für die Schöpfung des CEE. Auf diese Weise haben wir Bahnreisende, Interessenvertretende und Stakeholder miteinander ins Gespräch gebracht, die dem europäischen Schienenverkehr zukünftig zu weiteren Erfolgen zu helfen vermögen.
Andere Maßnahmen und Aktivitäten für den Schienenverkehr
Neben dem CEE sollen – dem Beschluss der Europäischen Kommission zum Europäischen Jahr der Schiene folgend – noch eine Reihe anderer Maßnahmen im Jahr 2021 den Umstieg auf die Bahn als sicheres und umweltfreundliches Verkehrsmittel fördern:
Allem voran sind damit Initiativen und Veranstaltungen zum Anregen einer Debatte und zur Erleichterung von Engagement im Bereich Bahnverkehr auf Unions-, nationaler, regionaler oder lokaler Ebene gemeint. Verhaltensänderungen und die Akzeptanz eines nachhaltigen Verkehrs der Öffentlichkeit sollen durch Informationen, Ausstellungen, Ideen und Sensibilisierungsmaßnahmen erreicht werden, wobei insbesondere ein weitreichender Erfahrungsaustausch im Hinblick auf bewährte Vorgehensweisen stattfinden soll. Diese sollen sich auf diese Weise schneller etablieren. Bahnfördernde Projekte sowie bereits existierende oder sich ergebende Netzwerke werden durch den Einsatz von Medien, von sozialen Netzwerken und anderen Online-Gemeinschaften gefördert, wobei nicht nur Organe und Einrichtungen der EU sondern auch der Mitgliedsstaaten zur Bewerbung ihrer Veranstaltung auf das Europäische Jahr der Schiene verweisen und dessen visuelle Identität verwenden können [2].
Darüber hinaus wurden der Europäischen Kommission die Durchführung zweier Machbarkeitsstudien nahegelegt, deren Ergebnisse auf europäischer und nationaler Ebene verbreitet werden sollen. Die erste Studie soll ein Europäisches Label zur Kennzeichnung von mit der Eisenbahn transportierten Produkten prüfen, die zweite Studie die Einführung eines Rail Connectivity Index, der den Grad der durch das Eisenbahnnetz erlangten Integration und das kompetitive Potential der Bahn im Vergleich mit anderen Transportmitteln misst.
Wie kann der Bahnverkehr weiter gestärkt werden?
Die Aktivitäten und Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Europäischen Jahr der Schiene haben dem paneuropäischen Diskurs über Schienenverkehr durchaus Schwung verliehen und die ein oder andere politische Forderungen in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Konkret hat der Schienenverkehr in ihrem Windschatten vor allem zwei erwähnenswerte Verbesserungen erfahren: Erstens ist noch im Jahr 2021 die Eröffnungen zweier neuer Nachtzugstrecken (Wien — Paris sowie Zürich — Amsterdam) geplant. Diese leiten einen Trend ein, der – weitere geplante Strecken belegen es – auch in Zukunft anhalten wird. Zweitens sieht die in diesem Jahr aktualisierte Richtlinie der EU zu Rechten und Pflichten der Passagiere vor, dass Bahnbetreibende ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens mindestens vier Fahrradstellplätze in allen neuen oder aufbereiteten Zügen bereithalten müssen.
Eine andere Änderung in der aktualisierten Richtlinie zu Rechten und Pflichten der Fahrgäste hingegen, der das Parlament ebenfalls in diesem Jahr zugestimmt hat, bedeutet eine deutliche Verschlechterung für den Schienenverkehr. Sie erscheint besonders vor dem Hintergrund des Europäischen Jahres der Schiene unerklärlich, ja sogar inakzeptabel: Zukünftig werden Bahnkunden keine Entschädigung mehr für Verspätungen erhalten, wenn eine „höhere Gewalt“ für selbige ursächlich war. Durch diesen weit gefassten Begriff ist zu erwarten, dass zukünftig mehr Fahrgäste klagen müssten, um entschädigt zu werden. Die beschlossene Rechtsunsicherheit wird die Attraktivität der Schiene schmälern und zeigt einmal mehr mit hohem Nachdruck den nach wie vor existierenden Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit im europäischen Schienenverkehr auf.
Um diesen Widerspruch aufzulösen sind aber neben starken Fahrgastrechten ohnehin noch eine Reihe weiterer, ganz handfester Maßnahmen erforderlich:
Das Schienennetz muss grenzüberschreitend gedacht werden, um den Flickenteppich nationaler Netze zu einem echten europäischen Eisenbahnnetz zu transformieren. Dabei sollten nicht nur die großen Transeuropäischen Korridore berücksichtigt werden, sondern auch die vermeintlich kleinen grenzüberschreitenden Lückenschlüsse im europäischen Bahnnetz – sogenannte „Missing Links“. Sie liegen meist abseits der prestigeträchtigen Großprojekte, die Milliarden verschlingen und doch kann durch ihre Schließung häufig mit wenig Geld ein großer europäischer Mehrwert geschaffen werden.
Es müssen unbedingt die unterschiedlichen technischen Standards in den einzelnen Ländern aneinander angeglichen werden. Allem voran ist das Europäische Signalsystem (European Rail Traffic Management System) flächendeckend einzuführen. Denn nur mit einheitlichen technischen Standards kann ein gemeinsamer Eisenbahnraum in Europa Realität werden und die Schiene ihren großen Vorteil der Netzwirkung voll entfalten.
Die EU muss für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen: Die Bahn konkurriert immer noch mit dem von der Kerosinsteuer befreitem Flugverkehr, während sie selbst Energie- und Mehrwertsteuer aufwenden muss. Während es keine verpflichtende Straßenmaut gibt, gibt es eine Mautverpflichtung für die Schiene.
Und nicht zuletzt obliegt es den Bahnunternehmen, den Kund*innen das Auffinden geeigneter Tarife deutlich zu vereinfachen. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Fahrten können Tickets häufig nicht online gebucht werden oder es müssen mehrere vom Buchenden einzeln aufeinander abgestimmte Einzeltickets gebucht werden. Ein Prozedere, das beim Fliegen undenkbar scheint: Hier können Tickets in aller Regel bequem aus einer App heraus gebucht werden.
Dennoch: Mit den positiven Eindrücken des CEE noch in den Köpfen der Verantwortlichen und der Bürger*innen ist besonnene Zuversicht angemessen, dass in den nächsten Jahren bedeutende Fortschritte im Schienentransport erzielt werden. Positiv sind auch die Milliardeninvestitionen der EU im Rahmen der CEF Transport hervorzuheben. Es ist nun an den Mitgliedsländern, diesen Investitionen praktische Taten folgen zu lassen. Ziehen alle an einem Strang, so ist auch eine für das Erreichen der Klimaziele so wichtige Renaissance der Nachtzüge möglich, wie sie sich durch die Eröffnung der neuen Strecken bereits vorsichtig abzeichnet.
Weiterführende Links:
https://europa.eu/year-of-rail/index_de
https://www.connectingeuropeexpress.eu/
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/HTML/?uri=LEGISSUM:4499773&rid=20
https://anna.deparnay-grunenberg.eu/2021/04/29/pm-rueckschritte-bei-den-eu-bahnfahrgastrechten-unverschaemt/
https://www.allianz-pro-schiene.de/
Vorschlag für einen Beschluss Des europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Jahr der Schiene (2021)
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