Dieser Artikel ist ein Resümee des gleichnamigen Webinars vom 07.05.2020.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier:
Viele Fragen beschäftigen mich aktuell. Mobilitätsprämie statt Abwrackprämie? Staatsbeihilfen für Fluggesellschaften nur unter ökologischen Bedingungen? Wie wird diese Blaupause unsere Mobilität unser Mobilitätsverhalten verändern? Wie kann die Coronakrise der Verkehrswende zum Durchbruch verhelfen? Wird Home Office den Verkehr nachhaltig vermindern?
Diese und weitere Fragen habe ich gemeinsam mit meinen Diskussionspartnern in diesem Webinar versucht zu beantworten. Gemeinsam mit den drei geladenen Gästen Mira Kapfinger, Katja Diehl und Jon Worth diskutierten wir zuerst darüber auf welche Weise die Coronakrise den Verkehrssektor bisher beeinflusst hat und welche Schlüsse wir bereits für die Zukunft daraus ziehen können.
Doch zuerst möchte ich meine Gäste vorstellen: Mira Kapfinger ist Mitbegründerin und Koordinatorin des Netzwerks Stay Grounded, welches mehr als 150 Mitgliederorganisationen weltweit vereint. Gemeinsam setzen sie sich für eine Reduktion des Flugverkehrs und für ein soziales und klimagerechtes Verkehrssystem ein.
Katja Diehl ist für ihren Podcast She Drives Mobility bekannt. Sie ist mehrfach ausgezeichnete Kommunikations- und Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt in Neuer Mobilität. Sie hat die Vertretung der Women in Mobility gegründet und treibt im Bundesvorstand des Verkehrsclub Deutschland (VCD) u. a. das Thema „Mobilitätswandel durch Wandel von Einstellungen“ voran.
Jon Worth ist ein politischer Blogger, Journalist und Berater. Er ist Gründer und Betreiber des reichweitenstarken Webblogs Euroblog. Dort setzt er sich auch intensiv mit europäischer Verkehrspolitik auseinander, wobei die Eisenbahnpolitik ein Schwerpunkt darstellt.
Diese Veranstaltung war Teil der Reihe GrüneEuropaWebinare.
Weshalb brauchen wir überhaupt eine Verkehrswende?
Der wohl offensichtlichste Grund, weshalb wir dringend eine globale Verkehrswende brauchen, ist, um der Klimakrise zu begegnen. Um unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern, müssen wir umdenken wie wir uns nachhaltig fortbewegen können und in Zukunft reisen wollen. Nicht nur der Flugverkehr muss dabei massiv reduziert werden, sondern auch der Straßenverkehr.
„Tatsächlich entfallen 72% der Treibhausgase im Verkehr in der EU auf den Straßenverkehr,“
informiere ich die Zuhörer. Doch im Austausch mit meinen Gesprächspartnern zeigen sich weitere Gründe auf, weshalb wir nicht mehr auf die Verkehrswende warten können. Ein Wandel im Verkehrssektor muss auch geschlechtergerechtes Reisen, mehr Sicherheit im Straßenverkehr und sozial-gerechte Mobilität bedeuten.
Die Coronakrise als Gamechanger?
In jeder Krise steckt auch eine Chance. Viele Städte auf der Welt haben es vorgemacht, dass Wandel im Verkehrssektor erstens möglich ist und zweitens, dass er schnell umgesetzt werden kann. Von Bogotá über Mexiko Stadt bis Brüssel, Berlin und Budapest – und noch viele andere Städte haben in kürzester Zeit Straßen in sogenannte Pop-up Fahrradspuren umgewandelt, um sicherzustellen, dass es Verkehrsmöglichkeiten gibt, die sicher und kostengünstig sind und um damit auch die sonst oft überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel zu entlasten, damit die Mindestabstände eingehalten werden können. Daraus ergibt sich automatisch eine massive Senkung von Treibhausgasen in Städten, die sofortige Auswirkungen auf die Luftqualität und die Lärmbelästigung in urbanen Räumen hat.
Geschlechter- und sozial-gerechte Mobilität
Darüber hinaus verändert die Neuaufteilung den gesamten städtischen Raum und sorgt für eine sozial-gerechte Umverteilung des zwischenmenschlichen Lebens in Städten. Dadurch, dass der Autoverkehr abgenommen und der Radverkehr zugenommen hat, fällt auch die Hierarchie zwischen Autofahrern und Radfahrern. Autos sind wahnsinnig dominant in unserem Straßenverkehr. „Dass Autofahrer und Radfahrer sich normalerweise im Straßenverkehr gar nicht auf Augenhöhe bewegen können, ist nur die logische Konsequenz,“ erklärt Katja Diehl, die sich aktiv für eine nachhaltige, innovative aber auch geschlechtergerechte Mobilität einsetzt. „Wenn ich auf dem Fahrrad unterwegs bin und mich ein SUV überholt, das löst das Angst aus, auch dadurch, dass ich nicht mit dem Autofahrer kommunizieren kann. Dadurch erleben wir eine Ungleichverhältnismäßigkeit von Begegnungen im städtischen Raum.“ Die Autoindustrie hat sich in Deutschland in den vergangenen 70 Jahren etabliert, sich in unser Denken und gar schon unsere Identität eingefleischt. Autos sind zur absoluten Normalität in Deutschland geworden und dass jeder mindestens ein Auto in seiner Einfahrt stehen hat, gehört genauso zu diesem Bild der Normalität und Bürgerlichkeit. In einem Artikel betitelt die Stuttgarter Zeitung Deutschland als die „Nation der Autofahrer,“[1] da die Debatte um den Klimawandel zwar in aller Munde sei, jedoch kaum einen Einfluss auf das Autofahrverhalten der Deutschen genommen hat. Die Kommunikations- und Verkehrsexpertin Katja Diehl spricht dabei von einem „riesengroßen Problem, das wir haben,“ denn „Männer dominieren die Branche. Die Autoindustrie hat weniger Frauen in Führungspositionen als die katholische Kirche,“ zeigt Diehl auf. „Warum das ein Problem ist,“ führt sie fort „ist einfach: Homogenes Denken führt nicht zu Innovation. Wenn wir ein geschlechtergerechtes Entwicklerteam haben, entstehen ganz neue Ideen, die wir in der Autoindustrie dringend benötigen.“ Der Autoverkehr ist so dominant im städtischen Straßenverkehr, dass andere Mobilitätswege völlig verdrängt werden und die Sicherheit im Straßenverkehr auch abnimmt. Dass Menschen unterschiedliche Sicherheitsbedürfnisse haben bedeutet, dass wir darauf eingehen müssen, um ihnen ein Gefühl von Sicherheit im öffentlichen Raum zurückzugeben. Das gilt es dringend anzupacken.
Ein Auto fährt am Tag durchschnittlich 45 Minuten und nimmt dafür aber unverhältnismäßig viel Platz ein.
Darüber hinaus, „müssen wir im Rahmen der Mobilität Möglichkeiten schaffen, dass alle mobil sein können,“ so Diehl. „Prekär Verdienende haben den geringsten Autobesitz in Deutschland. Es reicht nicht, dass wir eine Abwrackprämie haben, denn das trifft nur Menschen, die ein Auto besitzen. Wir brauchen eine Mobilprämie für alle, da heißt wir brauchen Zuschüsse zu Bahn Cards, Monatskarten oder vielleicht auch zu einem E-Lastenrad. Ein Leben ohne Auto muss auch für eine Familie möglich sein. Und ich bin saustolz,“ sagt sie freudig, „dass die Abwrackprämie nicht durchgewunken wurde, sondern, dass ganz viele Menschen aufgestanden sind und gesagt haben: nicht mit uns! Die Mobilprämie ist dabei eine Chance Augenhöhe in der Mobilität zu erreichen. Wenn wir hinhören, was die Menschen wirklich wollen, dann können wir die Verkehrswende sehr gut schaffen.“
Veränderungen im Flugverkehr
Der Blogger und Verkehrspolitikexperte Jon Worth dokumentiert die Veränderungen der Mobilität in europäischen Städten seit der Coronakrise. Er fragt, „wie steht es seit dem Ausbruch von COVID-19 in Europa mit der Maskenpflicht im Flugverkehr? Das Problem ist, selbst wenn wir im Flugzeug eine Maske tragen, stellt dies keine sichere Reisemöglichkeit dar. Doch, inwiefern ist sicheres Fliegen in Zeiten von Corona überhaupt möglich?“ Auf einer PowerPoint-Folie beginnt er ein Gedankenexperiment: „Wenn wir eine Standardmaschine betrachten, beispielsweise eine Maschine der Klasse A320, der Fluggesellschaft Vueling, so beträgt der Abstand zwischen den Sitzen 74cm. Mit einer durchschnittlichen Auslastung, also etwa 142 Passagiere oder 79%, so wäre sicheres Fliegen nicht möglich.
Wenn wir social distancing im Flugverkehr einhalten wollen, so erhalten wir eine maximale Auslastung von 33%. Damit ist ein wirtschaftliches Überleben der Airline nicht möglich. Inwiefern wollen Menschen dann unter unsicheren Bedingungen fliegen?“
Noch Ende April schrieb die Süddeutsche Zeitung, dass die Luftfahrtgesellschaft Lufthansa zurzeit stündlich eine Million Euro verliere.[2] Darüber hinaus, gab es in den vergangenen Jahren wiederholt Streiks, nicht nur bei Lufthansa. Angesichts dieser Umstände müssen wir uns doch fragen, wie zukunftsfähig Fliegen überhaupt ist. Es ist bekannt, dass Fliegen nicht umweltfreundlich ist. Pro Kilometer und Person verbraucht ein Personenflugzeug etwas 214g CO2. Im Vergleich dazu verbraucht ein ICE, der mit Ökostrom fährt weniger als 1g pro Person und Kilometer. [3]
Wie realistisch einhaltbar jedoch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln ist, besonders im Fernverkehr von Bus und Bahn, ist noch unklar. Wir sollten uns dennoch fragen, werde ich, wenn ich nur auf der Strecke von Stuttgart nach Frankfurt fahre, zwei Stunden lang im ICE meine Gesichtsmaske tragen? Und gibt es überhaupt eine Alternative?
#ShiftToRail
Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire twitterte am 29. April 2020: „Wenn es eine Bahnalternative zu Inlandsflügen mit einer Dauer von weniger als 2,5 Stunden gibt, sollten diese Inlandsflüge drastisch reduziert und lediglich auf das Umsteigen auf ein Drehkreuz beschränkt werden.“[4] Dabei setzte er #AirFrance dahinter. Solche klaren Worte, die Wandel fordern von einem sonst konservativen Politiker, scheinen fast revolutionär. Es zeigt auch, dass Umdenken möglich ist. Und dennoch, ist Jon Worth besorgt. „Ist das einfach dann ein Weg das französische Bahnunternehmen SNCF mal wieder vor Wettbewerb zu schützen? Und wenn Konkurrenz im Bahnsektor möglich wäre in Frankreich, wäre Le Maire dann auch bereit andere Bahnunternehmen zu schützen? Oder liegt das nur an den staatlichen Anteilen an SNCF? Wie diese Nachricht also zu deuten ist, müssen wir genauer beobachten,“ setzt Worth nach.
Im Vergleich dazu, in Österreich, wo es mehr Konkurrenz zwischen Bahnunternehmen gibt, finanziert der Staat in der Coronakrise die private Westbahn und staatliche ÖBB gleichermaßen, um den Bahnverkehr aufrecht zu erhalten. „Diese Lösung finde ich sehr gerecht,“ fasst Worth zusammen.
In Deutschland ist die Situation wieder anders. Im Fernverkehr der Bahn gibt es bis auf drei Flixtrain-Linien keine Konkurrenz zur Deutschen Bahn. Noch zu Beginn der aktuellen Pandemie stellte Flixtrain seine Linien relativ schnell ein.
Auch Nachtzüge in Europa, die ohnehin schon rar sind, stehen vor schwierigen Zeiten. „Inwiefern ist es möglich als privater oder Kleinunternehmer nach der Coronakrise in so ein schwieriges Geschäft wie Fern- oder Nachtzüge einzusteigen?“
Darüber hinaus sieht es ohnehin für den Nachtzugverkehr leider immer noch kritisch aus. Während es in Frankreich etwa 500 TGV-Waggons (also Schnellzüge) gibt und in Deutschland 300 ICE-Waggons, gibt es beim ÖBB 13 Nachtzug-Waggons. Dabei ist die ÖBB aber noch vergleichsweise gut im Nachtzuggeschäft. Für Nachtzüge sieht es nach Corona also eher schlechter als besser aus, wobei dies doch eine tolle und echte Alternative zum Flugverkehr darstellen könnte. „Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass wenn die Rahmenbedingungen stimmen, ein fairer Wettbewerb zwischen verschiedenen Trägern das ist, was eigentlich am Meisten Innovation und gute Ideen für verschiedene Kunden hervorbringt. In einem gewissen Rahmen, wenn der Wettbewerb in Europa funktioniert, ist es besser für den Kunden und für die Vielfalt die wir haben,“ füge ich hinzu.
Save people, not planes
„Auf kaum einen anderen Sektor wirkte sich die Coronakrise so stark aus, wie auf die Luftfahrt,“ erzählt Mira Kapfinger, Mitbegründerin des Netzwerks Stay Grounded, das sich gegen den Flugverkehr stemmt wie er aktuell existiert und klimagerechte Lösungen verlangt. Sie berichtet: „Aktuell gratulieren mir viele Menschen und sagen: ‚Super! Jetzt habt ihr ja eure Ziele erreicht.‘ Da muss ich immer widersprechen, denn ja, der Flugverkehr ist momentan zwar reduziert, allerdings als Reaktion auf eine Gesundheitskrise und nicht aufgrund von zukunftsweisenden, vorausschauenden politischen Entscheidungen. Und die Situation mit sehr, sehr eingeschränkten sozialen Kontakten hat ja auch nichts mit der klimagerechten Zukunft zu tun, die wir uns vorstellen.“
Um ihr Geschäft am Laufen zu halten, fordern allein in der EU, Fluggesellschaften unglaubliche 26 Milliarden Euro staatliche Hilfen.
Dass Mitarbeiter unterstützt werden müssen in diesen Zeiten ist klar, „aber Geld für einen Wiederaufbau der Flugindustrie, ist eine direkte Investition in die Klimakatastrophe. Wir sollten stattdessen diese unvorhergesehene Pause im Luftverkehr nutzen, um ein klimagerechtes Transportsystem aufzubauen.“ Der Luftverkehr ist kein zukunftssicherer Sektor, daher sollte die Coronakrise als Zeitpunkt verstanden werden, zu dem wir zu nachhaltiger Mobilität wechseln können und Arbeitsstellen in einer nachhaltigeren Mobilitätsbranche entwickeln können. Daher, appelliert Kapfinger daran Menschen und nicht Flugzeuge zu retten: Save people, not planes.
Bleiben wir auf dem Boden (der Tatsachen)
Denn wir haben auch Alternativen:
„Eine Zugfahrt kann bis zu 70 Mal klimafreundlicher sein als eine Flugreise,“
weiß Kapfinger. Noch vor Corona war der Flugverkehr mit 5 bis 8% für die Erderwärmung verantwortlich. „Das klingt jetzt erstmal relativ wenig, ist aber sehr viel, wenn wir bedenken, dass über 80% der Erdbevölkerung gar nicht fliegt,“ erklärt Kapfinger die Zahlen und damit die Ungleichverteilung der verursachten Emissionen auf dem Planeten. „In der EU sind die Emissionen durch die Luftfahrt in den letzten fünf Jahren um 26% gestiegen.“ Durch Abb. 1 wird deutlich, welche Auswirkungen das Fliegen langfristig auf das Klima haben wird, wenn wir weiter so machen wie bisher: Fliegen wird mindestens 1/6 des globalen Kohlenstoffhaushalts einnehmen, wenn wir das 1,5°C Ziel des Pariser Abkommens erreichen wollen, das besagt, die globale Erderwärmung langfristig unter einem Anstieg von maximal 1,5°C zu halten.
Dabei spielt beim Fliegen auch wieder die soziale Ungerechtigkeit eine große Rolle.
Zahlen aus England zeigen, dass 1% der Bevölkerung für etwa 1/5 der Emissionen aus dem Flugsektor verantwortlich ist.
Diese Ungleichverteilung zeigt dabei auch ganz deutlich, wie schädlich ein erhöhter Lebensstandard für das Klima sein kann und auch wie global eine wahnsinnige Ungleichheit herrscht zwischen den relativ wenigen extremen Emittern und den unproportional drastischen weltweiten Folgen für nahezu alle Menschen, Tiere und Pflanzen. Deshalb ist es so wichtig zu fordern, dass staatliche Hilfen an Fluggesellschaften auch an nachhaltige Bedingungen geknüpft sind. „Wir müssen als Gesellschaft jetzt ganz klar einfordern: Ressourcen müssen in den Bereichen investiert werden, die für eine zukunftsfähige und nachhaltige Mobilität sorgt,“ das sehe ich als besonders wichtig.
Ob die Coronakrise ihre Höchstwerte bereits erreicht hat, wird sich noch zeigen. Ob wir aus ihr etwas lernen werden ist ziemlich sicher. Welche Konsequenzen wir jedoch daraus ziehen ist noch unklar. Wir können jetzt mitbestimmen wie sich das Leben nach Corona entwickeln wird und in was für einer Welt wir in Zukunft leben wollen. Wollen wir eine Welt, in der wir weiterhin von Nürnberg nach München fliegen können und deshalb unsere Klimaziele nicht erreichen werden oder wollen wir eine Welt, in der nicht nur Klimagerechtigkeit, sondern auch geschlechtergerechte und sozial-gerechte Mobilität zum Alltag gehören? Wir können entscheiden. Wir – als Gesellschaft und Politik – haben jetzt die Wahl.
[1] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.statistik-zur-mobilitaet-deutschland-bleibt-nation-der-autofahrer.a0d7ccc5-4f79-46ad-9af5-8ea3c94fbf21.html
[2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/corona-krise-lufthansa-in-not-1.4888878
[3] https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Klimaziel-1201554
[4] https://twitter.com/BrunoLeMaire/status/1255551013781671936