Dieser Artikel ist das Resümee des Webinars vom 29. April 2020.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier:
Eigentlich sollte 2020 DAS Jahr der Biodiversität werden. Die Welt hatte sich hohe Ziele gesetzt: Die EU-Kommission wollte im April, als Element des europäischen Green Deals, ihre neue Biodiversitätsstrategie für 2030 vorlegen. Für Oktober war die UN-Biodiversitätskonferenz in Kunming, China, geplant gewesen, auf der die Weltgemeinschaft einen Vertrag zur Erhaltung der Artenvielfalt abschließen sollte – das Global Biodiversity Framework– das in seiner Dimension vergleichbar mit dem Pariser Klimaabkommen ist. Doch dann kam Corona und machte dem ganzen einen Strich durch die Rechnung. Die Biodiversitätsstrategie wurde verschoben, die Konferenz der UN vorläufig abgesagt. Doch was nicht vom Tisch war, waren die riesigen Herausforderungen, die uns mit dem Verlust der Artenvielfalt bevorstanden – denn sie existieren immer noch und lassen sich von der Coronakrise nicht aufhalten. Und dennoch, geht dieses Thema in der Flut der Coronatragik unter.
Aufgrund dieser dramatischen Realität und mit dem Eifer etwas dagegen tun zu wollen, rief ich gemeinsam mit meinem Grünen/EFA-Kollegen Sven Giegold ein Webinar im Rahmen der Reihe GrüneEuropaWebinare,ins Leben, in dem wir die Zukunft der Biodiversität diskutieren wollten.
Zu meiner Freude konnten wir Dirk Steffens und Raphael Weyland für das Webinar gewinnen. Steffens ist Wissenschaftsjournalist und vor allem durch die ZDF Terra-X-Dokumentationsreihe Faszination Erde bekannt, in der er eindringlich die Schönheit und Verletzlichkeit unseres Planeten darstellt. Er ist auch Botschafter der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“ und ebenfalls Mitbegründer der Biodiversity Foundation, die sich zum Ziel gesetzt hat, auf das globale Artensterben aufmerksam zu machen. Weyland ist promovierter Umweltjurist und Leiter des Brüsseler Büros des Naturschutzbund Deutschland NABU. Er ist ausgewiesener Naturschutzexperte und einer der Vorkämpfer für Artenvielfalt in Brüssel.
Was bedeutet eigentlich Biodiversität genau?
„Die Biodiversität kann mit dem Begriff der Artenvielfalt gleichgesetzt werden,“ erkläre ich vorneweg, zu Beginn meiner Präsentation. „Allerdings beinhaltet der Terminus nicht nur den Schutz der Artenvielfalt, also der Arten an sich, sondern auch der Lebensräume und der Genvielfalt. Es ist die gesamte Biodiversität, die der Humus des Lebens ist. Immer weniger Lebensraum und immer stärkere Umweltbelastung führen zu einem massiven Rückgang der Biodiversität. Beim Schutz der Artenvielfalt geht also um den Schutz des Lebens auf Erden.“
Eine menschengemachte Katastrophe
In Dirk Steffens Präsentation wird deutlich, dass der Biodiversitätsverlust jedoch noch weiter reichende Auswirkungen hat und mit immer dringlicheren Problemen in unserer Gesellschaft verknüpft ist. Eindrucksvoll schildert er den komplexen, jedoch eindeutigen, Zusammenhang zwischen dem rasanten Biodiversitätsverlust, den wir aktuell erleben und dem Ausbruch von Krankheiten und Seuchen: „Zerstörung von Natur, erhöht die Wahrscheinlichkeit für Pandemien. Daher ist Umweltschutz eben auch Seuchenschutz. Also auch Schäden, die WIR der Umwelt zufügen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Pandemien. Corona ist also kein Schicksal, das vom Himmel gefallen ist – damit haben wir Menschen etwas zu tun!“
Anhand der Grafik (Abb. 1) erklärt er anschaulich, wie gravierend die Auswirkungen des Artenverlustes schon sind und mehr noch – in der Zukunft sein werden. Alles was über die grüne sichere Belastungsgrenze hinausgeht, gefährdet das sichere leben und überleben auf diesem Planeten. Das Artensterben gehört dabei zu den Zonen, die mit am stärksten betroffen sind. „Wir befinden uns in einer großen Ökokrise,“ schlussfolgert Steffens. In einer Krise, an die das gesamte Ökosystem gekoppelt ist. „Das Problem beim großen Artensterben ist, dass tausende Arten gleichzeitig aussterben. Jeden Tag verschwinden auf diesem Planeten etwa 150 Tier- und Pflanzenarten. Das heißt auch, von den acht Millionen Tier- und Pflanzenarten, die auf der Welt dokumentiert wurden, ist eine Million jetzt schon vom Aussterben bedroht.“ Diese Zahlen sitzen tief.
Klimakrise vs. Biodiversitätskrise
Der Wissenschaftsjournalist zeigt auch anhand des Schaubilds (Abb. 1) das Verhältnis der Klimakrise zur Biodiversitätskrise. Während der Klimawandel mittlerweile in aller Munde ist, ist die Biodiversitätskrise nur Wenigen bekannt. Und dennoch hat der Artenverlust weitaus schlimmere Auswirkungen als die Klimakrise allein verantworten kann. Treffend fasst Steffens zusammen: „Der Klimawandel bedroht die Art wiewir leben, aber das Artensterben stellt in Frage obwir leben. Ohne diese Vielfalt des Lebens, ist unser Leben auch nicht möglich.“ Daher: „Es ist unsere Aufgabe Nummer eins, das Artensterben auf diesem Planeten zu stoppen!“
Ziele für 2020 – Wo stehen wir?
Bei diesem sehr düsteren und beängstigenden Ausblick, suchen wir Hoffnung in der Politik. Sie mussdas retten. Beim Blick auf die bestehende Biodiversitätsstrategie der EU stellen wir jedoch fest, dass die aktuelle Strategie nahezu auf der der Jahre 2000 bis 2010 beruht – und noch immer konnten die Ziele selbst von damals in diesem Jahr nicht erreicht werden. Woran liegt das? Der Umweltjurist Raphael Weyland erklärt: „Das Problem ist, dass diese Ziele nicht verbindlich sind. Daher gibt es keinen Druck auf die Mitgliedsstaaten Dinge zu verändern.“ Instrumente, wie die Vogelschutzrichtlinie konnten bisher nicht voll umgesetzt werden. Und um den Beitrag der Land- und Forstwirtschaft zu einer gesunden Biodiversität steht es besonders schlecht. Hier gab es im letzten Jahrzehnt keine positiven Veränderungen – ganz im Gegenteil.
Was können wir von der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 erwarten?
Am kommenden Mittwoch, 20. Mai, will die EU-Kommission ihre neue Biodiversitätsstrategie für das Jahr 2030 vorlegen. Weyland spekuliert im Hinblick auf die Veröffentlichung, was wir von ihrem Inhalt erwarten können. Wir wissen noch nicht viel davon, was die EU-Kommission vorlegen wird, denn Details sind bisher keine bekannt. Jedoch schien die Vorabkommunikation von Seiten der Kommission ambitioniert zu sein: „Europe must lead the world when it comes to protecting our biodiversity.Das heißt Europa soll eine Führungsrolle einnehmen im Biodiversitätsschutz,” zitiert Weyland den Vize-Kommissionspräsidenten Frans Timmermans. Das sind große Worte.
Der Gesetzgeber in der Pflicht
Der Umweltjurist Raphael Weyland zeigt anhand neuster Statistiken speziell wie es um die Artenvielfalt in Europa steht. „Obwohl wir EU-Recht haben, sehen wir keine Besserung für die Biodiversität.“ Wie kann das sein? Sollte EU-Recht nicht unsere Arten schützen und gar die Artenvielfalt fördern? Auch wenn wir einen Blick auf Deutschland werfen, sehen wir keine besseren Zahlen. Und nun, können wir Aufgrund von Corona auch nicht auf Besserung hoffen.
Die NABU hat der Kommission die wichtigsten Inhalte – aus ihrer Sicht – vorgelegt. Um eine erfolgreiche Umsetzung der Biodiversitätsstrategie garantieren zu können, brauchen wir allen voran eine Gesetzgebung, die auch vollständig umgesetzt ist. Ein Leitfaden allein reicht nicht. „Es benötigt politischen Willen und eine zeitige Prüfung innerhalb der Kommission, um ein Gesetz in Kraft zu setzen,“ so Weyland. Darüber hinaus gilt es aber auch für das Europäische Parlament, Gesetze im Rahmen der Landwirtschaftspolitik durchzusetzen beziehungsweise zu verhindern. Wir tragen die Verantwortung. Am 6. Mai, nur vor wenigen Tagen, verlängerte das Europäische Parlament, ohne Zustimmung der Grünen, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU. Konkret bedeutet dies, dass in den nächsten zwei Jahren, alles so weiter gehen wird wie bisher. Das ist ein Skandal, denn damit ist kein Green Deal in Sicht. Dabei ist es essentiell für die Biodiversität die GAP zu reformieren. Aktuell fließen 48 Milliarden Euro, oder auch fast 40% des gesamten EU-Haushalts direkt an den Landwirtschaftssektor in Europa.
Artenschutz bedeutet nachhaltige Landwirtschaft
Neben einer rechtlichen Lösung sieht Weyland daher auch die Landwirtschaft direkt in der Pflicht. Es braucht unberührte Natur und eine deutliche Pestizidreduktion auf den Feldern, neben denen auch eine nachhaltige Fischerei essentiell ist, um unser Ökosystem in ein Gleichgewicht zu bringen. Darüber hinaus spricht er auch von der Renaturierung. „15% der degradierten Ökosysteme an Land und zu Wasser müssen wiederhergestellt werden.“ Ob mit den Zielen der NABU aber auch wirklich zu rechnen sei, ist noch unklar. Man glaubt es kaum, doch die größte Lobby GEGEN den Naturschutz kommt wohl aus den eigenen Reihen der EU-Kommission. In einem Brief der DG AGRI (der Abteilung für Landwirtschaft innerhalb der EU-Kommission) an die Kommissionspräsidentin, wird gefordert, alle Schritte, die Einschränkungen des Landwirtschaftssektors durch die Biodiversitätsstrategie voraussetzen würde, fallen zu lassen. Große Landwirtschaftslobbyisten baten ebenfalls darum die Einschränkungen für die Landwirtschaft in der Biodiversitätsstrategie weniger streng zu halten und keine Herabsetzung der Pestizidwerte zu verlangen. Neben einem Umdenken im Landwirtschaftssektor brauchen wir also auch Leitlinien, um beispielsweise auch definieren zu können, was ist eine nachhaltige Forstwirtschaft? Als vereintes Europa brauchen wir auch eine Lösung auf EU-Ebene. Wir brauchen ehrgeizige Ziele.
Wo bleibt da noch Hoffnung?! 2020 Superjahr für die Biodiversität?
Dieses Jahr muss als Auftakt verstanden werden, um die Biodiversität zu retten. Auch wenn die EU es schafft eine Vorreiterrolle im Schutz der Biodiversität anzunehmen, dann müssen die Ziele, die wir uns heute in Europa setzen, morgen weltweit angegangen werden. Um Glaubwürdigkeit zu beweisen und um als Vorbild in der Gesetzgebung des Naturschutzes voranschreiten zu können, müssen wir schnell handeln, um Arten zu schützen und letztlich – das Leben auf diesem Planeten.
Der COVID-19 Recovery Plan der EU muss den Schutz der Biodiversität als Ziel haben. In einem Brief an den Vize-EU-Kommissionspräsidenten Frans Timmermans, den ich gemeinsam mit meiner Kollegin Grace O’Sullivan verfasst habe, bitten wir ihn inständig darum im Zuge der Erholung von der Coronakrise Rücksicht auf die Biodiversität zu nehmen. Diese Zeit – die Zeit nach Corona, die nun langsam anbrechen wird, müssen wir als Fenster der Möglichkeiten für Wandel begreifen, um eine nachhaltigere und sozial-ökologisch-gerechtere Gesellschaft zu erziehen.
Schaffen wir es aus der Coronakrise eine Lehre zu ziehen, diese Zeit als Chance für Neues zu begreifen und aus vergangenen Fehlern zu lernen und schaffen wir es auf die Wissenschaft zu hören und ein größeres Naturbewusstsein zu vermitteln, dann können wir es auch gemeinsam schaffen, diesen Wandel zu meistern. Für die Biodiversität, für alles Leben, für uns.