- Die unerträglichen Bilder, der in Massen getöteten Nerze stehen symbolisch für ein viel größeres Problem
- Massentierhaltung ist eine ideale Brutstätte Krankheitserreger und multiresistente Keime
- Die ökologische Agrarwende bedeutet Gesundheitsvorsorge, Klima- und Umweltschutz
Anfang November wurde öffentlich, dass es auf Nerz-Zuchtfarmen im Norden Jütlands (Dänemark) eine massenhafte Ausbreitung mutierter Coronaviren gab, die sich auch auf Menschen übertragen. Um eine weitere Verbreitung zu unterbinden, reagierte Dänemark vehement: 17 Millionen Nerze in dänischen Pelzfarmen wurden getötet, um zu verhindern, dass die Mutation des Coronavirus die Wirkung eines künftigen Impfstoffs massiv gefährdet und uns in unseren Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie weit zurückwirft. Obwohl die Massenkeulung wohl unumgänglich war, stehen die unerträglichen Bilder der in Massen getöteten Nerze symbolisch für ein viel größeres Problem. Sie sollten uns endlich wachrütteln – und uns unsere Mitschuld an der Pandemie bewusst machen.
Dass just dänische Nerze als Vektoren der Viren-Mutation fungierten war mehr oder weniger Zufall. Doch hat dieses Ereignis nicht nur eine diskrete, aber dennoch grausame Branche unerwartet sichtbar gemacht, sondern auch gleichzeitig daran erinnert, welche unkalkulierbaren Gefahren von Massentierhaltungen ausgehen können. Wo immer Tiere auf engstem Raum unter miserablen Bedingungen gehalten werden, entsteht eine ideale Brutstätte für Viren und andere Krankheitskeime. Diese können sich besonders rasant verbreiten und dabei auch mutieren. Der Weg zum Menschen ist dann nicht mehr weit, wie Vogelgrippe und Rinderwahn unlängst gezeigt haben. Dazu kommt, dass die Produktion von Billigfleisch nur mit enormen Mengen Antibiotika in Futtermitteln möglich ist. Die Gefahr von multiresistenten Keimen ist in den engen Ställen somit besonders hoch.
Wir Grüne fordern seit langem einen grundlegenden Wandel in der Tierhaltung und müssen hin zu einer Landwirtschaft mit Respekt vor Tieren, Gesundheit, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit. Es ist also nicht nur allerhöchste Zeit, um alle verbliebenen Pelzfarmen zu schließen, sondern auch, um ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir unsere Beziehung zu Natur und Lebensmitteln wieder ins Gleichgewicht bringen können.
Die Entwicklung auf den Nerzfarmen in Dänemark müssen wir als absolutes Alarmsignal betrachten und daraus die richtigen Konsequenzen ableiten: Die industrielle Vieh- und Landwirtschaft und das unermessliche Leid der Tiere in Massentierhaltungen widersprechen nicht nur unseren ethischen Werten von einem respektvollen Umgang mit Lebewesen, sondern gehen einher mit verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und unserer aller Gesundheit. Auch deshalb setzen wir uns mit aller Kraft in den aktuellen Verhandlungen zur Gemeinsamen EU-Agrarpolitik dafür ein, dass die Massentierhaltung und die Verbreitung ihrer Produkte auf dem Europäischen Markt endlich ein Ende finden.
Um künftige Ausbrüche zu verhindern, müssen wir aufhören, die Natur auszubeuten, und die Massentierhaltung beenden.
Die Agrarindustrie mit der Produktion von Fleisch- und Milchprodukten sowie Futtermitteln ist der größte Treiber der weltweiten von Zerstörung von Wäldern und anderen Ökosystem. Das ungehinderte Vordringen des Menschen in vormals unberührte Natur, extensive Landnutzung, der hohe Einsatz von Pestiziden oder auch der Kahlschlag von Wäldern führen zu einem rasanten Artensterben. Das starke Bevölkerungswachstum, die Globalisierung, unsere zunehmende Mobilität, sowie die veränderte Tierhaltung und die Klimaveränderungen bringen die Menschen in engeren Kontakt mit Tierarten, die sie vielleicht noch nie zuvor gesehen hatten. Die Übertragung von Krankheiten von wild lebenden Tieren auf den Menschen ist somit wohl der Preis, den wir für ein ungebremstes Wirtschaftswachstum zahlen.
Es ist also vorrangig menschliches Verhalten, das dazu führt, dass Ökosysteme derart aus dem Gleichgewicht geraten und Infektionskrankheiten aus dem Tierreich – so genannte Zoonosen – auf uns übertragen werden. Die Wissenschaft schätzt, dass 31 Prozent der Ausbrüche neu auftretender Infektionskrankheiten mit der Zerstörung von Wäldern und Ökosystemen – darunter HIV, Ebola und Zika – in Zusammenhang stehen.
Eine nachhaltige Agrarpolitik, welche die vielfältigen Ökosysteme schützt, ist somit eine wichtige Gesundheitsvorsorge gegen die Entstehung neuer Krankheiten ist und muss deshalb endlich ernsthaft in den Fokus unseres Handelns gestellt werden. Die Warnungen aus der Forschung müssen wir ernst nehmen und ein Ernährungssystem aufbauen, das nicht – wie das derzeitige – zum Klimakollaps und zum ökologischen Kollaps beiträgt. Vielmehr sollte dieses neue System widerstandsfähiger gegen die unvermeidbaren Folgen der Klimakrise sein, statt die Klimaerwärmung weiter zu befeuern.
Agrarökologie stärken: Gemeinsam für naturnahe Anbausysteme und solidarische Lebensräume
Die Umstellung auf nachhaltige und widerstandsfähige Lebensmittelsysteme ist von größter Dringlichkeit, um auch in Krisensituationen die Versorgung mit gesunder Nahrung zu sichern. Die Grenzschließungen zu Beginn der Pandemie haben gezeigt, wie abhängig unser derzeitiges System von der Einreise ausländischer Saisonkräfte und dem Zugang zum globalen Markt ist. Es stellt sich heraus, dass vor allem die europäischen Groß-Landwirte vom Import von Futtermitteln für ihre Tiere und vom Export ihrer Produkte auf weit entfernte Märkte abhängig sind.
Deshalb ist es wichtig, die regionalen Kreisläufe weiter zu stärken, anstatt hochgradig globalisierte Lieferketten auszubauen. Das schafft mehr Unabhängigkeit bei der Produktion von Nahrungsmitteln und trägt zu einer nachhaltigen Wertschöpfung in der Region bei. Die Gesundheit der Menschen und der Umwelt müssen ebenso geschützt werden, wie die Rechte der Arbeitnehmenden in der Landwirtschaft. Dafür müssen wir faire Preise garantieren, um auch kleinen landwirtschaftlichen Betriebe das Überleben zu sichern und mit öffentlichen Geldern jene unterstützen, die auf eine ökologische Produktion setzen.
Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen: EU-Prämien an ökologische Kriterien knüpfen!
In diesem Sinne ist es die große Aufgabe der Politik die neue „Farm to Fork“-Strategie voranzubringen, aber vor allem auch die derzeit verhandelte Gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP), das System Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion vom Kopf auf die Füße stellen. Die kommenden zehn Jahre sind entscheidend für die Bekämpfung des Klimawandels und des Artenschwunds. Die Klimaziele und Biodiversitätsziele müssen dringend in der neuen GAP besser verankert werden als es Rat und Parlament bisher vorgeschlagen haben! Zurzeit laufen wir Gefahr, weitere sieben Jahre und fast 400 Milliarden Euro (etwa ein Drittel des EU-Haushalts!) für eine gestrige Landwirtschaft zu verschwenden, anstatt dieses Geld für die Ökologisierung des Agrarsektors zu nutzen. Öffentliche Gelder müssen in wirksame Umweltleistungen fließen und eine Landwirtschaft fördern, die auf regionale Lieferketten und Kreisläufe setzt und unsere Ressourcen und Umwelt schützt. Wir müssen die Bauern im ökologischen Wandel begleiten und ein System schaffen, dass die Transition der Betriebe unterstützt. Alles spricht zudem dafür, die GAP-Mittel künftig an eine verpflichtende ethische Bilanzierung zu koppeln (bspw. in Anlehnung an GWÖ, SMART von FIBL oder B-Corporation). Ziel muss es sein, die GAP und die Verteilung der Subventionen für die Landwirtschaft in Einklang mit dem Klima-, dem Tier-, Biodiversitätsschutz und dem Gemeinwohl zu bringen.
Dafür braucht es radikale Kürzungen im Fleisch und Milchviehbereich, aber auch ein starkes Lieferkettengesetz, um Produkte, die in Zusammenhang mit Wald-, Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverletzungen stehen, ein für alle Mal aus den Ladenregalen der EU zu verbannen. Dass die EU-Kommission sich im April endlich für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen hat, ist deshalb ein wichtiger Meilenstein! Einen entsprechenden Gesetzesentwurf will die EU-Kommission im kommenden Jahr vorlegen; das EU-Parlament hat sich ebenfalls mit großer Mehrheit für ein solches Gesetz ausgesprochen. Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass vor allem die verbindlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen entlang der Lieferketten in diesem Gesetz verankert werden. Es ist längst bewiesen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen nicht ausreichen. Wir werden die EU-Kommission beim Wort nehmen und diesen Gesetzgebungsprozess aufmerksam und kritisch begleiten!
Wenn wir nun in die Zukunft blicken, so müssen wir uns fragen, wie wir künftig das Seuchenrisiko eindämmen wollen. Die Antwort ist vielschichtig: Eine bessere Vorbereitung durch aktuelle Pandemiepläne, mehr internationale Zusammenarbeit, eine Stärkung der WHO, mehr Wertschätzung für medizinisches Personal, bessere Vorräte an Schutzausrüstung und Medikamenten spielen dabei sicher eine wichtige Rolle. Doch wenn wir tatsächlich die Verbreitung von neuartigen Erregern verhindern wollen, müssen wir den weltweiten Naturschutz sowie unsere Wertschätzung für das Leben ganz nach vorne stellen. Resiliente, funktionierende Ökosysteme sind unsere Lebensgrundlage!