Die Covid19-Krise stellt unsere Gesellschaft und die gesamte Weltgemeinschaft vor riesige Herausforderungen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind gigantisch. Und obwohl wir heute noch nicht das gesamte Ausmaß benennen vermögen, ist jetzt bereits klar, dass diese Krise immensen Schaden hinterlässt.
Wenn wir nun in die Zukunft blicken, so müssen wir uns dringend fragen, wie wir künftig das Seuchenrisiko eindämmen wollen. Die Antwort ist vielschichtig: Eine bessere Vorbereitung durch aktuelle Pandemiepläne, mehr internationale Zusammenarbeit, eine Stärkung der WHO, mehr Wertschätzung für medizinisches Personal, bessere Vorräte an Schutzausrüstung und Medikamenten spielen dabei sicher eine wichtige Rolle. Doch wenn wir tatsächlich die Verbreitung von neuartigen Erregern verhindern wollen, müssen wir den weltweiten Naturschutz sowie unsere Wertschätzung für das Leben ganz nach vorne stellen.
Schon seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler, dass das Risiko von Pandemien mit der weltweiten Zerstörung von Ökosystemen zusammenhängt.
Der Rückgang von Lebensräumen und der Verringerung der Artenvielfalt, trägt direkt zur Entstehung neuer Infektionskrankheiten bei.
Das ungehinderte Vordringen des Menschen in vormals unberührte Natur, extensive Landnutzung, der hohe Einsatz von Pestiziden oder auch der Kahlschlag von Wäldern führen zu einem rasanten Artensterben. Es ist also vorrangig menschliches Verhalten, das dazu führt, dass das Ökosystem derart aus dem Gleichgewicht gerät und Infektionskrankheiten aus dem Tierreich – so genannte Zoonosen – auf uns übertragen werden.
Auch beim neuartigen Coronavirus gehen Forscher mittlerweile davon aus, dass die Übertragung von einer Rhinolophus-Fledermaus (Hufeisennase) über einen Zwischenwirt auf den Menschen stattgefunden hat; vermutlich auf dem „wet market“ in Wuhan. Dabei ist Covid19 bei weitem nicht die einzige „moderne“ Zoonose. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA schätzen, dass 60 % der neu auftretenden Infektionskrankheiten sind zoonotisch sind und über 75% dieser Zoonosen mit großer Wahrscheinlichkeit von Wildtieren stammen. So auch die berühmten Vorgänger SARS, MERS, Ebola, HIV und Tollwut.
Bereits im Mittelalter gab es Zoonosen – das berühmteste Beispiel ist die Pest, die im 14. Jahrhundert über 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Jedoch gewinnen von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten, immer mehr an Bedeutung. Das starke Bevölkerungswachstum, die Globalisierung, unsere zunehmende Mobilität, sowie die veränderte Tierhaltung und die Klimaveränderungen bringen die Menschen in engeren Kontakt mit Tierarten, die sie vielleicht noch nie zuvor gesehen hatten. Die Übertragung von Krankheiten von wild lebenden Tieren auf den Menschen ist somit wohl der Preis, den wir für ein ungebremstes Wirtschaftswachstum zahlen.
Wissenschaftler haben Daten des Netzwerkes “Global Infectious Disease and Epidemiology (GIDEON)” ausgewertet, welches über 12000 Ausbrüche von 215 Infektionskrankheiten erfasst, die im Zeitraum von 1980 bis 2013 in 219 Ländern stattgefunden haben. Das Ergebnis ist besorgniserregend: In den Jahren zwischen 1980 und 1985 fanden knapp 1.000 außergewöhnlich starke Ausbrüche statt. Im Zeitraum 2005 bis 2010 waren es fast dreimal so viele.
Das macht unmissverständlich klar:
Die globalen Naturzerstörungen sind die eigentliche Krise hinter der Covid19-Krise.
Dies bedeutet im Rückkehrschluss, dass eine nachhaltige Naturschutzpolitik, welche die vielfältigen Ökosysteme schützt, eine wichtige Gesundheitsvorsorge gegen die Entstehung neuer Krankheiten ist und deshalb endlich ernsthaft in den Fokus unseres Handelns gestellt werden sollte.
Wollen wir das Risiko von zukünftigen Pandemien verringern, müssen wir Menschen den Umgang mit Tieren und Natur grundlegend neu überdenken und neu gestalten. Und wir werden unser Wirtschaftssystem grundlegend in Frage stellen müssen, denn ein „weiter so“ kann es spätestens jetzt nicht mehr geben. Wir werden unweigerlich wieder mehr auf Regionalität setzen müssen. Dazu sind die Politik, die Landwirtschaft, aber auch wir alle als Konsument*innen gefordert, um Maßnahmen für eine Agrarwende hin zu mehr Klima-, Arten- und Tierschutz zu initiieren und auch umzusetzen.
Einen Meilenstein setzte der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius vor wenigen Tagen, als er wörtlich in einem Interview sagte, dass “die Intensivtierhaltung eine große Rolle in der jüngsten Pandemie spielt. Es gibt auch starke Belege dafür, dass die Art und Weise, wie Fleisch produziert wird, und nicht nur in China, einen Beitrag zu Covid-19 geleistet hat.“ Deshalb, so Sinkevicius, werde die EU künftig mehr Maßnahmen für eine nachhaltige Landwirtschaft treffen. Diese Aussage von einem EU-Kommissar ist nicht weniger als ein Wendepunkt, denn die EU hat über Jahrzehnte mit ihrer Förderpolitik genau das Gegenteil gemacht. Dabei sind die Schweine- und Vogelgrippe nur weitere Beispiele, wie Krankheitserreger aus der Massentierhaltung immense Schäden anrichten können. Die massenhaften Notschlachtungen sind eine Tragödie für die Tiere, aber natürlich auch für die Menschen, für die Tiere ihre Existenzgrundlage bedeuten. Wir werden die EU-Kommission an ihre Worte erinnern, wenn die Neuauflage der GAP-Subventionen verhandelt wird.
Wir werden zudem mehr internationale Gesetze und Abkommen brauchen, die darauf hinwirken, dass Lieferketten nachhaltiger werden.
Es sollte gewährleistet werden, dass bei der Produktion von Lebensmitteln und Waren keine Zerstörung von Regenwäldern und ursprünglichen Ökosystemen stattgefunden hat. Dass die EU-Kommission sich diese Woche endlich für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen hat, ist deshalb ein weiterer Meilenstein! Dafür haben wir Grüne lange hart gekämpft. Doch jetzt müssen wir auch dafür sorgen, dass dieses Lieferkettengesetz kein zahnloser Tiger wird.
Last but not least, brauchen wir dringend Internationale Abkommen, um den illegalen Wildtierhandel zu unterbinden und den legalen Handel mit Wildfleisch besser zu kontrollieren.
Dafür müssen wir Entwicklungsländer unterstützen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort Alternativen erarbeiten, damit ein würdiges Lebenseinkommen auch ohne das Töten von Wildtieren möglich wird.
Wir erfahren derzeit, wie sehr Naturschutz, biologische Vielfalt und funktionierende Ökosysteme Schlüsselfaktoren sind, um uns vor der Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten zu schützen. Jetzt ist der geeignete Zeitpunkt, um uns für die Zukunft zu rüsten und unseren Planeten resilient gegen neue Pandemien zu machen. Das bedeutet, all das radikal umzukehren, was in der Vergangenheit in die falsche Richtung gelaufen ist.