Am 4. Februar 2021 war es soweit! Das Buch „24 wahre Geschichten vom Tun und vom Lassen – Gemeinwohlökonomie in der Praxis“ ist erschienen, in dem ich Co-Autorin bin. Ich durfte zu diesem Gemeinschaftsprojekt 5 Kapitel beitragen, in denen ich meine Geschichte mit der Gemeinwohl-Ökonomie erzähle. Von meinen Anfängen im Stadtrat in Stuttgart bis heute – in Brüssel im Europäischen Parlament – ist alles mit dabei.
Die Highlights für mich persönlich waren: Die Zusammenarbeit mit Christian Felber beim Schreiben unseres gemeinsamen Schlussworts mit einem Ausblick in die Zukunft und ein Interview mit dem früheren Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick zum Thema Finanzwende zu führen, das Ihr hier lesen könnt! Doch auch über die GWÖ-Bilanzierung von ForstBW zu lesen freut mich als Forstwissenschaftlerin ganz besonders.
Wenn Ihr auch direkt einen Blick ins Buch werfen wollen, klickt hier: https://24-wahre-geschichten.de
Hier könnt Ihr einen Ausschnitt aus einem Kapitel „Interview mit Gerhard Schick“ lesen.
Interview mit Gerhard Schick
Zur Person:
Gerhard Schick wurde 1972 in Hechingen geboren und ist ein Politiker von Bündnis ´90/Die Grünen.Er war von 2000 bis 2001 Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Arbeit der Grünen in Baden-Württemberg und von 2001 bis 2007 Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen von Bündnis 90/Die Grünen. Von 2005 bis 2018 war er Mitglied des Deutschen Bundestags und wurde zum finanzpolitischen Sprecher der Fraktion gewählt. Der promovierte Volkswirt ist der geschäftsführende Vorstand des im Juli 2018 in Berlin gegründeten gemeinnützigen Vereins Bürgerbewegung Finanzwende. Die Organisation steht für die Bekämpfung der Finanzkriminalität, ein stabiles Finanzsystem und umweltfreundliche Finanzmärkte in Deutschland.
Anna DG:
Gerhard, du hast einen interessanten Weg hinter und vor dir. Du hast dich dreizehn Jahre lang im Bundestag für eine bessere Regulierung der Finanzbranche und eine gerechtere und solidarische Steuerpolitik eingesetzt. Dann hast du Ende 2018 dein Mandat niedergelegt und mit „Finanzwende“ eine Bürgerbewegung begründet, die mittlerweile mehr als 3.200 Mitglieder hat. Wie wurde dir klar, dass du diesen Schritt machen musst? Gab es eine bestimmte Begegnung oder Erfahrung?
Gerhard Schick:
Es gab nicht das eine Erlebnis, sondern über viele Jahre die Beobachtung, dass die Anliegen so vieler Menschen untergehen und die Finanzlobby einen Sieg nach dem anderen erzielt. Und das war ja nicht nur meine Beobachtung, sondern das hat eine größere Gruppe von Menschen beschäftigt, die sich seit Jahre für besseren Verbraucherschutz am Finanzmarkt, für eine Finanztransaktionssteuer oder für stabile und nachhaltige Banken einsetzen. Unsere Analyse war: Die richtigen Vorschläge lagen meistens auf dem Tisch, aber der Finanzlobby ist es gelungen, sie auszubremsen oder zu verwässern. Der zehnte Jahrestag der Pleite der Lehman Bank war dann der Anlass, mit Finanzwende ein Gegengewicht zur Finanzlobby zu schaffen.
Anna DG:
Wie hast du diesen Neustart geplant?
Gerhard Schick:
Eigentlich hatte ich nicht vor, vor Ende der Legislaturperiode aus dem Bundestag auszusteigen. Und ich sah meine Rolle zunächst mehr darin, die Gründung einer solchen Organisation mit anzustoßen, als sie selbst zu leiten. Aber dann lief es auf mich hinaus, und ich stand vor der Frage, ob diese Neugründung – mit natürlich erst einmal unsicherer Perspektive – es wert ist, dafür ein Abgeordnetenmandat aufzugeben. Leicht gefallen ist mir diese Entscheidung nicht, weil ich ein begeisterter Parlamentarier gewesen bin. Doch die Entscheidung war absolut richtig.
Anna DG:
Was für eine Vision hattest du, als du den Sprung gewagt hast? Und wo steht die Bewegung heute?
Gerhard Schick:
Die Hoffnung war, dass so viele Menschen mitmachen, dass wir in wenigen Jahren eine kraftvolle NGO aufbauen können, die ähnlich wie Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen die gesellschaftliche Debatte und Realität verändern kann. Aber das weiß man natürlich am Anfang nicht, ob das gelingt oder ob alle sagen: Schön, dass der Schick das macht, aber mich interessieren Finanzen nicht. In dem Fall würden wir scheitern. Denn die Idee der Bürgerbewegung Finanzwende funktioniert ja nur, wenn viele mitmachen. Nur dann verändert sich das Kräfteverhältnis bei Finanzmarktfragen.
Heute können wir sagen: Bisher ist der Zuspruch größer, als wir beim Start erwartet hatten. Mehr Mitglieder, mehr Medienresonanz, mehr aktive Mitarbeit von Menschen mit Finanzmarktkompetenz. Deswegen können wir erste Erfolge vorweisen. Aber trotzdem sind wir natürlich noch viel zu klein, um angesichts von Hunderten von Lobbyisten aus Banken, Fonds und Versicherungen schon sehr große Veränderungen zu bewirken. Da braucht es einfach noch viel mehr Mitstreiter und Mitstreiterinnen.
Anna DG:
Wo siehst du Verbindungen oder Synergien zwischen den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie und der Finanzwende?
Gerhard Schick:
Unser Ziel, dass Banken, Fondsgesellschaften und Versicherer wieder den Menschen dienen und nicht umgekehrt, hat ganz große Überschneidungen mit der Gemeinwohlökonomik. An manchen Stellen nehmen wir auch explizit Bezug zur Gemeinwohl-Ökonomie, zum Beispiel in unserer Auseinandersetzung mit den Sparkassen, die ja dem Gemeinwohl verpflichtet sind, aber trotzdem in den letzten Jahren mit vielen negativen Schlagzeilen aufwarten mussten: überhöhte Vorstandsgehälter, mangelnde Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, Verkauf ungeeigneter Finanzprodukte und das ganze Desaster bei den Landesbanken, an denen die Sparkassen ja beteiligt sind.
Auch beim Thema Sustainable Financegeht es ja eigentlich um Gemeinwohl-Ökonomie: Endlich soll nicht mehr nur auf finanzwirtschaftliche Daten geschaut werden, sondern ökologische und soziale Aspekte der Finanzgeschäfte sollen offengelegt und bei der Risikosteuerung berücksichtigt werden. Auch den Kunden soll damit die Möglichkeit gegeben werden, verantwortliche Geldentscheidungen treffen zu können, weil eben die nötigen Informationen verfügbar sind. Darum geht es bei der sogenannten Taxonomie-Diskussion – man könnte sie auch als einen ersten kleinen Schritt Richtung Gemeinwohlbilanzierung bezeichnen.
Anna DG:
Hat sich auf Bundesebene etwas bewegt in Richtung Gemeinwohl-Ökonomie?
Gerhard Schick:
Die Dynamik beim Thema Sustainable Financeist in Brüssel größer als in Berlin. Aber immerhin gibt es jetzt einen Sustainable Finance Beiratder Bundesregierung, an dem ich auch mitwirke. Er hat das erklärte Ziel, Deutschland zum führenden Standort für Sustainable Finance zu machen. Das wäre – wenn man es denn richtig macht – ein großer Schritt Richtung Gemeinwohl-Ökonomie. Allerdings fehlt bisher der politische Elan in der Bundesregierung.
Zumindest angesprochen wurde in den letzten Jahren auch das Thema Gemeinwohlbilanzierung bei der Deutschen Bahn AG. Es wäre sehr wichtig, dass dieser bundeseigene Konzern nicht über reine Finanzzahlen gesteuert wird, sondern auch über die Ziele für eine nachhaltige Mobilität.
Anna DG:
Was ist deine Botschaft für Menschen, die in diesem Bereich etwas verändern wollen?
Gerhard Schick:
Ich finde, die Gemeinwohlbewegung hat es gut geschafft, zahlreiche Akteure davon zu überzeugen, auf eine Gemeinwohlbilanzierung umzuschwenken. Private wie öffentliche Unternehmen sind dabei, allerdings meist kleinere. In der Summe ist unsere Wirtschaft aber noch weit weg von einer wirklichen Ausrichtung am Gemeinwohl, denken wir nur an den Handel von Wertpapieren im Millisekundentakt oder an die Schlachthöfe. Ich werbe also dafür, auch die Organisationen zu unterstützen, die sich konkret mit den mächtigen Vertretern des Status quo anlegen und flächendeckende Veränderungen herbeiführen wollen. Die Finanzwende versucht, das im Finanzbereich zu leisten.