Wer Europa auf umweltfreundliche Art entdecken und erleben möchte, hat mit dem Nachtzug immer häufiger eine bequeme Alternative zum Billigflieger.
Zwar wurde das Nachtzugnetz in den letzten Jahrzehnten stark zurückgebaut. Wie unser kürzlich veröffentlichter Flyer zum europäischen Nachtzugnetz (siehe Link) zeigt, gibt es europaweit aber bereits (wieder) viele Verbindungen, die klimaschonendes Reisen in Europa auch nachts und über weite Strecken ermöglichen. Diese Entwicklung müssen wir gesellschaftlich und verkehrspolitisch stärken, um den weiterhin steigenden CO2-Emissionen im Verkehrssektor entgegenzuwirken.
Auf EU-Ebene bewegt sich etwas
Auch auf europäischer Ebene wächst die Begeisterung für Nachtzüge. Zum Beispiel hat das EU-Parlament auf Antrag der Grünen die Europäische Kommission mit einem Pilotprojekt zur Wiederbelebung grenzüberschreitender Nachtzüge beauftragt. Dafür hat die Kommission nun eine Studie im Umfang von 500.000 Euro ausgeschrieben, welche die Hindernisse für eine Weiterentwicklung des grenzübergreifenden Nacht- und Hochgeschwindigkeitszugverkehrs identifizieren und unterstützende Handlungsmöglichkeiten auf EU-Ebene ausarbeiten soll. Schon jetzt ist aber klar, dass der Aufbau eines europaweiten Nachtzugnetzes am besten gelingt, wenn wir unsere Lösungen europäisch denken. So brauchen wir die schnelle Vollendung des einheitlichen Europäischen Eisenbahnraumes und einen zügigeren Ausbau des ERTMS (European Railway Traffic Management System), um auch auf technischer Ebene den grenzüberschreitenden Zugverkehr zu erleichtern und Kompatibilitätsprobleme zu vermeiden. Hier spielt die Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) eine zentrale Rolle.
Die Bahn ist gegenüber anderen Verkehrsträgern benachteiligt
Dies kann natürlich nur der Anfang sein, damit das „Europäische Jahr der Schiene 2021“ seinem Namen auch wirklich gerecht werden kann. Denn der Bahnverkehr ist im Wettbewerb der Verkehrsträger nach wie vor benachteiligt, was auch den Betrieb von Nachtzügen erschwert. Während Fluggesellschaften zum Beispiel keine Energiesteuer auf Kerosin zahlen, muss der Schienenverkehr in Deutschland Strom- und Ökösteuer zahlen. Auch die hohen Trassenpreise treiben die Kosten in die Höhe. Eine Studie der Europäischen Kommission hat gezeigt, dass der Bahnverkehr auch bei der Internalisierung externer Kosten im Nachteil ist (siehe Link). Um Nachtzüge wettbewerbsfähig und umweltfreundliches Reisen einem breiten Publikum zugänglich zu machen, bedürfen sie also besonderer Förderung.
Schweden fördert, die deutsche Bundesregierung zögert
Eine Möglichkeit dafür ist die Aufgabenträgerschaft (Public Service Obligation), bei der die öffentliche Hand ein ausreichendes Angebot an Nachtzügen gewährleistet, indem sie die gewünschten Verbindungen ausschreibt und notfalls finanziell unterstützt. Dieses Konzept wird bereits im öffentlichen Personennahverkehr angewandt und könnte Nachtzügen helfen, sich trotz widriger Bedingungen am Markt zu behaupten. Die schwedische Regierung geht hier voran und hat angekündigt, bis 2022 die zwei Nachtzugverbindungen Stockholm – Hamburg und Malmö – Brüssel zu realisieren. Auch die österreichischen und schweizerischen Bundesbahnen investieren in Nachtzüge als klimafreundliche und komfortable Reiseoption. Deutschland hingegen droht als zentraler und größter EU-Mitgliedsstaat den Trend zu verpassen. Zwar hat Verkehrsminister Andreas Scheuer beim EU-Schienengipfel die Wiederbelebung des „Trans-Europ-Express“-Konzepts vorgeschlagen. Allerdings wird auch hier vorausgesetzt, dass sich grenzüberschreitende (Nachtzug-)Verbindungen unter den schwierigen Marktbedingungen sofort finanziell selber tragen. Dabei erhebt Deutschland im Gegensatz zu der Mehrheit der EU-Länder nach wie vor eine Mehrwertsteuer auf grenzüberschreitende Bahnverbindungen. Außerdem hat Deutschland als einziges EU-Mitgliedsland noch keine nationale Stelle benannt, die Aufgabenträgerschaften ermöglichen und grenzüberschreitend koordinieren kann. Das Fehlen einer solchen Aufgabenträgerorganisation macht es privaten Anbietern unnötig schwer, da diese mit jedem Transitland einzeln verhandeln müssen, wenn sie grenzüberschreitende Züge anbieten wollen. Durch die sich summierenden Trassenentgelte ist es ihnen dann kaum möglich, den Kundinnen und Kunden preislich attraktive Angebote machen zu können.
Jetzt handeln für die klimafreundliche Mobilität der Zukunft
Um dem europäischen Bahnverkehr und insbesondere Nachtzügen einen Schub zu verleihen, braucht es nicht nur warme Worte und Bekenntnisse, sondern konkrete verkehrspolitische Verbesserungen. Wir müssen auf Bundesebene unsere steuerlichen und organisationspolitischen Hausaufgaben machen, sodass wir auch auf europäischer Ebene unseren Verkehrssektor endlich klimafreundlicher gestalten und fit für die Zukunft machen können. Nachtzüge eröffnen uns neue Chancen, um uns Europäerinnen und Europäer einander auf nachhaltiger Art näher zu bringen. Lasst sie uns nicht verstreichen lassen!
Unsere Grünen Forderungen sind deshalb:
1. Fairer Wettbewerb zwischen Zug und Flug: Kerosinsteuer für Flüge, Keine Mehrwertsteuer für europaweite Nachtzugfahrten!
2. Neue Strecken mit Anschubförderung unterstützen: Damit sich neue Strecken etablieren können
3. Faire Preise für Schienennutzung: Trassenpreise dürfen für Nachtzüge kein Hindernis sein!
4. Einfach buchen: Nachtzüge müssen online auffindbar und buchbar sein
5. Mit gutem Beispiel voran: (EU-)Beamte sollen bei Dienstreisen – wenn möglich – mit dem Nachtzug fahren
FÜNF GRÜNDE FÜR EINE FAHRT MIT DEM NACHTZUG
1. Umweltfreundlich: Wer mit dem Nachtzug reist, verbraucht bis zu neun Mal weniger CO2 – im Vergleich zum Flug mit dem Billigflieger
2. Reisezeit ist Schlafenszeit: Wer liegt statt fliegt verliert keine Zeit und muss sich auch nicht um einen Flughafentransfer kümmern
3. … und gleichzeitig spart man sich auch noch eine Hotelübernachtung und kann ausgeschlafen in Urlaub oder Dienstreise starten
4. Das Kennenlernen: Beim Absacker an der Zugbar kann man sich auch viel besser mit seinen Mitreisenden unterhalten, als eingequetscht in einem Flugzeugsitz
5. Das Feeling: Schwer zu beschreiben – Aber wer schon einmal beim Zugschaukeln quer durch Europa eingeschlafen ist, weiß was wir meinen
Weiterführende Links:
Studie der Europäischen Kommission (EN): „Sustainable Transport Infrastructure Charging and Internalisation of Transport Externalities: Main Findings“ https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/studies/internalisation-study-summary-isbn_978-92-76-03076-8.pdf
Übersicht Verfahren „Europäisches Jahr der Schiene“ (EN) https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?reference=2020/0035(COD)&l=en