Austausch mit ForstBW¹: „ Wir wollen unseren Beitrag zum Gemeinwohl quantifizieren und ausbauen!“
- ForstBW wurde 2020 als erstes Landesunternehmen in Deutschland Gemeinwohl-bilanziert.
- ForstBW bewirtschaftet über 300’000 ha und ist damit der größte Forstbetrieb Baden-Württembergs und der zweitgrößte Deutschlands.
- ForstBW erzielt im Bereich Reduktion ökologischer Auswirkungen 7 von 10 Punkten und ist damit vorbildlich
Als diplomierte Forst- und Umweltwissenschaftlerin und Gemeinwohl-Ökonomie-Unterstützerin bin ich begeistert, dass sich ForstBW diesem umfassenden ethischen Bilanzierungsprozess widmet. Nach den Landtagswahlen 2017 beschloss die neue grün-schwarze Regierung in ihrem Koalitionsvertrag, ein Landesunternehmen nach den Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) zu bilanzieren. Das Landesunternehmen ForstBW wurde ausgewählt, um sein Wirken bezüglich den 4 Grundwerten „Solidarität und Gerechtigkeit“, „Ökologischer Fußabdruck“, „Menschenwürde“ und „Transparenz und Mitentscheidung“ in einem partizipativem Prozess zu eruieren. Hier sind die Ergebnisse der GWÖ-Bilanzierung von ForstBW zu finden, sowie weiterführende Artikel und Kommentare auf ihrer Homepage.
Im Dezember 2020, kurz vor Weihnachten, hatte ich die Gelegenheit, virtuell mit dem Unternehmen und den GWÖ-Berater*innen, Gitta Walchner und Uli Fellmeth und ForstBW zusammen zu kommen und mit ihnen über den Dreiklang von Forst, Politik und Gemeinwohl-Ökonomie auszutauschen.
Anna DG: Wie waren Ihre ersten Eindrücke bei der Bilanzierung von ForstBW? Welches Potenzial hat die GWÖ im Bilanzierungsprozess im Unternehmen hervorgebracht?
Gitta Walchner: Wir haben Hochachtung vor dem, was ForstBW bis heute geschafft hat und wie langfristig sie denken und planen. ForstBW hat sehr früh die Weichen für den Waldumbau in Richtung Minderung des Klimawandels und Klimaanpassung gestellt. Die GWÖ hat gezeigt, wie tiefgründig das Unternehmen die ökologische Nachhaltigkeit denkt und welche Priorität dieses Feld für das Unternehmen einnimmt.
Anna DG: Was haben Sie aus der Erfahrung mitgenommen, ein Forstunternehmen auf dem Weg zum Wandel zu begleiten?
Gitta Walchner: Das erste Herantreten an die Gemeinwohl-Ökonomie liegt in der Sinnfrage des Wirtschaftens: der Markt wird unterstützt, aber nur in seinem ethischen Umfang. Corona hat gezeigt, dass sehr schnell gesellschaftliche Umschwünge stattfinden können. Wir sehen auch, dass die Menschen verstanden haben, dass Probleme angepackt werden müssen und sich nicht einfach von alleine lösen werden. ForstBW hat in der Zeit der Bilanzierung einen großen Wandel durchlebt und wurde, aus der Mitte heraus, neu strukturiert. Der Wandel geschah also sowohl im strukturellen Sinne als auch im Sinne der eigenen Werte, die durch die Bilanzierung neu sortiert und vielleicht auch verstärkt wurden.
Anna DG: Wo gab es Schwächen bei der Bilanzierung im Unternehmen? Wo muss sich eventuell auch noch die GWÖ weiterentwickeln?
Gitta Walchner: In manchen Punkten konnten wir nicht ganz die gewünschte Tiefe erreichen, z.B. im Bereich der Mitarbeiterschaft und wie die Mitarbeitenden den Wandel selbst mitgestalten, da das Unternehmen gleichzeitig komplett transformiert wurde. Wichtig – denke ich – ist es vor allem, darauf zu achten, wie transparent das Unternehmen in der Unternehmensführung für seine Mitarbeitenden ist.
Uli Fellmeth: Der große Vorteil der GWÖ-Bilanzierung ist die 360° Perspektive, eines der festgelegten Bewertungskriterien ist die Partizipation. Um eine maßgeschneiderte Beratung geben zu können, müssten die Kriterien vielleicht besser an das jeweilige Unternehmen angepasst werden. Im Gespräch mit Mitarbeitenden wurde auch klar, dass trotz der GWÖ-Bilanzierung, der Wandel hin zur Chancengleichheit noch bevorsteht. Dennoch eine neue Stelle im Unternehmen geschaffen werden, die für die strukturelle und operative Entwicklung der personellen Struktur des Unternehmens verantwortlich ist. Das ist ein Erfolg!
Anna DG: ForstBW hat sich als „erfahrenes“ Gemeinwohl-Unternehmen erwiesen (mit 577 Punkten). Wie sehen Sie die Stärke einer solchen Bilanzierung konkret in Bezug auf ihr Unternehmen und auf die Klimakrise?
ForstBW: Das Ergebnis ist natürlich positiv, doch viel wichtiger sind die einzelnen Ergebnisse. Die GWÖ soll dem Unternehmen gute Impulse geben für die nachhaltige Entwicklung und nicht bloß ein Testat sein, das wir uns an die Wand hängen. Unsere Stärken haben sich unter anderem durch unsere ethische Haltung im Umgang mit Finanzmitteln, unsere finanzielle Unabhängigkeit und natürlich hinsichtlich der ökologischen Auswirkungen gezeigt. ForstBW ist sowohl FSC als auch PEFC-zertifiziert² und arbeitet schon lange daran, den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzusteuern und den Erhalt der Biodiversität zu fördern. Die Bilanzierung zeigt, dass wir in vielen Bereichen schon viel zum Gemeinwohl beitragen. Trotzdem gibt es auch Punkte, in denen wir uns verbessern können. Zum Beispiel in dem Bereich der Zulieferketten. Allerdings sind wir gebunden an das Vergaberecht: Wir können nicht frei entscheiden, wie wir einkaufen, wir können aber sehr wohl einen strategischen Einkauf aufbauen innerhalb der eigenen Firma. Da sind wir dran. Im Großen und Ganzen ist die GWÖ-Bilanzierung eine gute Möglichkeit zu sehen, wo noch Verbesserungen möglich sind und wie wir mehr Gemeinwohl generieren können. Ohne finanzielle Unterstützung ist ein solches Modell langfristig aber nicht einfach umsetzbar. Wir haben auch durch die Pandemie gesehen, dass die Wälder Zufluchtsort für viele Bürger*innen wurden, doch die Probleme der Klimakrise und das, was wir für das Gemeinwohl leisten, ist nicht ohne Unterstützung möglich.
Anna DG: Können Sie uns kurz schildern, was dieses Szenario von Klimakrise kombiniert mit Pandemie für Sie bedeutet?
ForstBW: Das Jahr 2020 begann mit extremen Wetterereignissen, vielen Stürmen und hohem Käferbefall. Die Räumung der Flächen war sehr schwer, da der erste Lockdown auch die Schließung von Sägewerken und eine niedrigere Nachfrage nach Holz bedeutete, wir mussten uns für Räumungsarbeiten in den Forstbetrieben umorganisieren, was nicht einfach war. Und trotzdem gilt, wenn eine Fläche geräumt wird, muss es schnell geschehen. Die Sägewerke haben aber nicht mehr Holz angenommen, auch wegen des weltweiten Rückgangs der Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig hatten wir auf einmal viel höhere Besucherzahlen im Wald – Bürger*innen, die in Zeiten des Lockdowns Erholung suchten. Wir haben es also in jedem Bereich mehr und schwerer gehabt, wobei wir uns natürlich freuen, wenn Menschen sich neu für den Wald begeistern.
Mein Fazit ist, dass der Prozess der GWÖ-Bilanzierung Unternehmen resilienter gegenüber Krisen machen kann. Vor allem natürlich, sollten Unternehmen, die sich am Gemeinwohl orientieren, Vorteile gewährt werden. Konkret würde das bedeuten, dass Gemeinwohl-bilanzierte Unternehmen Fördermittel, Kompensationen, Steuervorteile, Vorteile bei öffentlichen Ausschreibungen erhalten sollten, gemessen an ihrem Gemeinwohl-Beitrag. Forst BW ist, meiner Meinung nach, auf dem Weg ein Vorbild für die naturnahe Bewirtschaftung von Wäldern in Europa zu werden und dazu ein Modell für eine ganzheitliche Unternehmens-Verantwortung.
¹ ForstBW = Landesforstbetrieb Baden-Württemberg
² FSC steht für „Forest Stewardship Council®“. Es ist ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltigere Waldwirtschaft. Das Holz von Möbeln, Spielzeugen, Büchern, Schulheften oder Bleistiften mit FSC-Siegel kommt aus Wäldern, die verantwortungsvoller bewirtschaftet werden.
PEFC steht für „Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes“, also ein „Programm für die Anerkennung von Forstzertifizierungssystemen“. Es ist ein transparentes und unabhängiges System zur Sicherstellung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung und damit ein weltweiter „Wald-TÜV“. In Deutschland sind über acht Millionen Hektar Wald PEFC-zertifiziert. Das entspricht rund zwei Dritteln der deutschen Wälder.
Weiterführende Links:
– Ergebnisse der GWÖ-Bilanzierung von ForstBW
– Weiterführende Artikel und Kommentare zur GWÖ-Bilanzierung von ForstBW