Die europäischen Wälder bieten ein großes Potential zur CO2-Senke und beeinflussen das Klima positiv, da sie Teil vieler Stoff- und Energiekreisläufe sind. Des Weiteren sind sie die wichtigste Quelle für Holz, um – wo sinnvoll! – fossile durch erneuerbare Ressourcen zu ersetzen.
Damit sind sie unsere besten natürlichen Alliierten im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Darüber hinaus beheimaten sie einen Großteil der Tier- und Pflanzenarten und sind für den Erhalt der Biodiversität nicht wegzudenken.
Doch seit einigen Jahren leiden unsere Wälder in Europa massiv unter immer extremeren Wetterbedingungen und Schädlingsbefall, wie dem Borkenkäfer. Laut einem Bericht der Weltnaturschutzunion (IUCN) ist mehr als die Hälfte der nur in Europa vorkommenden Baumarten kurz oder langfristig gefährdet.
Die Europäische Kommission hat den Ernst der Lage erkannt und im „European Green Deal“ eine neue Waldstrategie der EU in Aussicht gestellt. Diese soll den Schutz der Europäischen Wälder garantieren und ein Gleichgewicht finden zwischen der wirtschaftlichen, der sozialen und der ökologischen Bedeutung des Forstsektors.
In den Ausschüssen für Landwirtschaft und regionale Entwicklung (AGRI), für Umweltfragen (ENVI) und Industrie, Forschung und Energie (ITRE) wird derzeit mit Hochdruck an der Erstellung eines Initiativberichts gearbeitet, um politischen Input zu liefern für die Waldstrategie der EU-Kommission.
Für die Grünen im AGRI-Ausschuss bin ich für dieses Dossier als sogenannte „Schattenberichterstatterin“ zuständig. Als ich den Bericht übernahm, war ich voller Vorfreude, denn als Försterin liegen mir das Wohl unserer Wälder und eine ambitionierte Waldpolitik sehr am Herzen. Schnell musste ich jedoch feststellen, dass die Ideen weit auseinander gehen, wie der Wald sinnvoll genutzt und gleichzeitig auch geschützt werden kann.
Im Laufe der Verhandlungen zeigte sich deutlich, dass der konservativ-finnische Berichterstatter Petri Sarvamaa vor allem die wirtschaftliche Bedeutung des Waldes in den Mittelpunkt stellte und den Schutz der europäischen Ur- und Naturwälder dabei oft vernachlässigte. Zwar konnten wir in den Verhandlungen zu den Kompromissanträgen einige wichtige Erfolge erzielen, doch bei den Hauptpunkten bleiben dennoch deutliche Differenzen.
Mitspracherecht: Darf die EU sich einmischen?
Wenn wir darüber sprechen, was die EU für den Waldschutz machen kann und welche Maßnahmen sinnvoll sind, kommen wir nicht an der Frage der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedsstaaten vorbei. Schon zu Beginn der Aussprachen kam es bei diesem Punkt zur ersten Meinungsverschiedenheit, weil der Berichterstatter – unterstützt von den schwedischen Liberalen, den Rechtskonservativen und Euroskeptikern – die Kompetenz beim Thema Wald und Forst ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten sieht.
Wie die Europäische Kommission auch, sind wir Grünen jedoch davon überzeugt, dass die EU auch im Bereich Wald- und Forstwesen durchaus Mindeststandards und Leitlinien vorgeben kann und sollte, welche die Mitgliedsstaaten zu Schutzmaßnahmen und Waldumbau verpflichten könnten.
Bisher finden Forst und Wald keine eigene Erwähnung in den Arbeitsverträgen der EU. Dennoch hat EU in der Vergangenheit in ihren zugewiesenen Kompetenzbereichen Landwirtschaft, Handel, Energie, Klimawandel und Umwelt eine Reihe von Gesetzgebungen verabschiedet, die den Forstsektor ebenfalls betreffen, darunter beispielsweise die Natura2000, die Flora Fauna Habitat-Richtlinie und die Wasserrahmenrichtlinie.
Auch hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) schon vor über 20 Jahren festgestellt, dass das Hauptziel der Gemeinschaftsaktion, den Wald zu schützen, auf die Erhaltung und Nutzbarmachung des von den Forstökosystemen gebildeten Naturerbes gerichtet ist. Es darf also nicht nur der Nutzen des Forstsektors für die Wirtschaft eine Rolle spielen. Der EuGH legte darüber hinaus fest, dass die Maßnahmen zum Schutz der Wälder vor den Gefahren der Zerstörung und Beschädigung in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen (siehe Paragraph 16 des Urteils C-164/97 und C-165/97).
Waldschutz: Erhalten, was uns erhält
Die Bekämpfung der ökologische Krise erfordert, dass wir als Staatengemeinschaft mit ehrgeizigen Zielen und Maßnahmen uns gegenseitig motivieren und voneinander lernen. Seit Jahrhunderten werden in Europa Waldgebiete vom Menschen abgeholzt und die Waldfläche für die Landwirtschaft, Siedlungen und Baumaterial gerodet. Totes Holz abgestorbener Bäume wurde zudem meist aus dem Wald befördert. Primärwälder sind in Europa sehr selten. Durch die Klimakrise ist nun auch der ökologische Zustand der verbliebenen Waldflächen massiv gefährdet. Es ist deshalb immens wichtig, dass wir europaweit die Widerstandsfähigkeit der Wälder erhöhen und sie klimaresistenter machen, z.B. durch Unterstützung der dynamischen Klimaanpassung und einer naturnäheren und auf den Wasserzyklus achtente Bewirtschaftung, aber durch Forschung und Innovation, die es ermöglichen, die Anpassungsfähigkeit unserer Wälder zu optimieren.
Wir müssen unseren Gesamteinfluss auf das Ökosystem Wald in Zukunft umsichtiger gestalten, um dabei die Arten und das Mikro-Klima im Wald und das globale Klima gleichermaßen zu schützen. Entscheidend ist, dass die EU der Verlockung widersteht, jetzt vor allem auf plantagenartige Aufforstungen mit schnellwachsenden Baumarten zu setzen, um sie auf die Klimaziele anrechnen zu lassen. Viel wichtiger ist jetzt der Umbau unserer vorhandenen Wälder zu klimawandelsicheren Mischwäldern, die Kohlenstoff und Wasser speichern. Zudem ist es unsere Pflicht, dass wir die letzten verbliebenen Urwälder – echte Schatzkammer der Biodiversität – konsequent schützen und erhalten. Dafür erfordert es strenge Vorgaben für die Nutzung des Waldes und illegale Abholzungen müssen konsequent geahndet werden. All diese Punkte finden sich leider nicht und wenn überhaupt nur als spärliche Randnotiz im AGRI-Bericht wieder.
Auch beim Thema nachhaltige und aktive Waldbewirtschaftung waren die Differenzen zwischen unserer Grünen Position und der des Berichterstatters kaum überbrückbar. Wir sind der Meinung, dass nachhaltige Waldbewirtschaftung (Sustainable Forest Management = SFM) weit mehr als die Sicherstellung der Holzmengen sein sollte. Vielmehr muss die Nutzung von Wäldern und Waldflächen gewährleisten können, dass die biologische Vielfalt, Vitalität und Regenerationsfähigkeit der Böden und des Ökosystems erhalten bleiben. Nur so können unsere Wälder auch in Zukunft wichtige ökologische, wirtschaftliche und soziale Funktionen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene erfüllen. Wir sind deshalb der Überzeugung, dass die künftige EU-Forststrategie auch den Austausch bewährter Praktiken für den angemessenen Schutz, dem Erhalt und die Restaurierung und Wiederaufforstung von Wäldern fördern sollte. Zwar gibt es diverse Konzepte, nach welchen Kriterien man eine nachhaltige Waldbewirtschaftung (SFM) bewerten könnte, doch bisher fehlt eine allgemeingültige und rechtskräftige Definition. Wir Grünen möchten deshalb an die EU Kommission appellieren, genau eine solche Definition auf europäischer Ebene zu erschaffen.
Rohstoff Holz: Zu wertvoll zum Verfeuern
Doch nicht nur die Art und Weise der Bewirtschaftung und unsere Forderung, das Ökosystem Wald zu stärken und zu erhalten führten zu langen Diskussionen. Auch gehen die Meinungen weit auseinander beim Thema Energiegewinnung aus Waldbiomasse und Holz. Während der Berichterstatter die Rolle von Holz als Energielieferant besonders hervorhebt, stehen wir Grünen dem sehr kritisch gegenüber. Dabei geht es nicht nur um Holz, das in privaten Kaminen und Öfen verwendet wird, sondern vor allem um industrielle Verbrennungsanlagen, die in großen Kraftwerken zur Strom- und Wärmegewinnung verbrannt werden.
Wir sind erleichtert, dass wir zumindest die sogenannte Kaskadennutzung im Initiativbericht festschreiben konnten, also dass vorrangig nur noch Holz verfeuert wird, welches sonst keine andere Nutzungsmöglichkeit mehr bietet (beispielsweise Holzabfälle). Denn oftmals werden Rundholz und Baumstümpfe verwendet, die aber besser zu langlebigen Produkten verarbeitet werden sollten. In Möbeln, Bauteilen oder Häusern kann der Kohlenstoff nämlich langfristig gebunden bleiben.
Das Verbrennen von Holzresten vor Ort mag noch zu rechtfertigen sein, aber das industrielle Verfeuern extra angelegter Wälder ist schlicht eine klimapolitische Katastrophe. Unter dem steigenden Brennholzhunger leiden in Europa vor allem naturnahe Wälder in Rumänien und Bulgarien.
Unterm Strich eignet sich Holz nur bedingt zur Energiegewinnung, da es bei Betrachtung der kurzen Zeitspanne, die uns bleibt um die CO2-Emmissionen deutlich zu verringern, nicht unbedingt „klimaneutral“ ist. Bei der Entnahme von Biomasse aus dem Wald kommt es unvermeidbar zu einer Verringerung des Kohlenstoffvorrats im Wald und durch die Verbrennung zu einer Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre. Pro erzeugte Energieeinheit wird die gleiche Menge CO2 wie bei der Verwendung von Kohle freigesetzt. Es wäre sehr wichtig gewesen, dass der Initiativbericht eine Änderung der Renewal Energie Directive diesbezüglich vorschlägt.
Dranbleiben und Weitermachen
Die Verhandlungen im Ausschuß für Land-, Forstwirtschaft und ländlicher Raum (AGRI) entwickelten sich anfangs nur sehr einseitig und waren oft ziemlich frustrierend. Der Rapporteur war stets der Meinung, dass die Forstpolitik der Mitgliedstaaten ohnehin nicht durch EU-Direktiven zu ändern wären.
Glücklicherweise fiel der im Umweltausschuß Ausschuss (ENVI) verabschiedete Bericht über die künftige EU-Forststrategie doch um einiges progressiver und umfassender aus, sodass der AGRI Ausschuss nun in Zugzwang geriet. So konnten wir in den Verhandlungen doch einige wichtige Punkte wie einen Hinweis auf ein notwendiges wirkungsvolles Lieferkettengesetz für Holzimporte, einen stärkeren Schutz der Biodiversität und die Notwendigkeit von Lebenslänges Lernen für Forstleute unterbringen.
Ich bin gespannt wie die Kommission diesen Initiativbericht des Parlaments aufnimmt, um in der Waldwirtschaft in Einklang mit ihrem „Green Deal“ und ihrer „Biodiversitätsstrategie“ handeln zu können!